„Geothermie ist massiv skalierbar“, eine Formulierung, die Energiemanager und -Ingenieure sofort aufhorchen lässt. Die Rede ist von der Geothermie, einer regenerativen Technologie, die jahrzehntelang von den Interessen der Erdöl- und Erdgaslobby an den Rand gedrängt wurde. Jetzt zeichnet sich ab, dass die Erdwärme gigantisches Problemlösungspotenzial hat – so dass die fossilen Energiegiganten und das Silicon Valley ihre Fühler ausstrecken.
Lange war ungeklärt, ob Geothermie, die Nutzung der schier unendlichen Wärmeenergie im Erdinneren, nicht erhebliche Umweltschäden wie Erdrutsche und Erdbeben verursacht. Diese Einwände sind einstweilen ausgeräumt. Die Forscher des Fraunhofer Instituts stellten deshalb bereits 2022 heraus, dass Geothermie als regenerativer Energieträger enormes Nutzungspotenzial für Wärme und Strom birgt und nur noch von der Solarenergie übertroffen wird. Neue Technologien machen es jetzt möglich, dass die Erdwärme auch an Orten gefördert werden kann, die für die bislang zu Verfügung stehenden Technologien unzugänglich waren.
In den vergangenen fünf Jahren hat die Erdwärmetechnologie das nächste Innovationslevel erreicht. Speziell das Jahr 2024 brachte mehrere Durchbrüche:
1. Geothermie ist eine Grundlasttechnologie
In Island untersuchen Wissenschaftler gerade, wie sich Wärme aus extremsten Umgebungen gewinnen lässt, darunter auch aus Magmakammern. Warum das alles? Die Nutzung von mehr Erdwärmeenergie rund um die Uhr würde helfen, die enormen Mengen an Solar- und Windenergie auszugleichen, die in Ländern wie den USA, China, Europa und Brasilien nur unregelmäßig ins Netz eingespeist werden. In schnell wachsenden Volkswirtschaften wie Indien, Südostasien, dem Nahen Osten und Südamerika könnte dies zudem Kohlekraftwerke ersetzen oder den Bau neuer Kraftwerke verhindern.
2. Eine Vielfalt an neuen Technologien kommt zum Einsatz
Im vergangenen Jahr sammelten nordamerikanische Start-ups wie Fervo Energy, Sage Geosystems, Eavor und Quaise Energy erhebliche Mittel ein und erreichten wichtige Meilensteine, um ihre neuartigen Technologien zu demonstrieren. Technologiegiganten wie Google und Meta sowie große Versorgungsunternehmen haben sich bereits verpflichtet, geothermische Elektrizität zu kaufen, um ihren wachsenden Energiebedarf zu stillen. Zugleich legten US-Politiker Gesetze vor, die viele regulatorische Hürden für Probebohrungen in mehreren Bundesstaaten beseitigen.
3. Geothermie-Potenzial: Gamechanger der Energiewende?
Neue Geothermie-Systeme könnten nach Expertenschätzungen bis 2050 nicht weniger als 600 Terawatt kohlendioxidfreier Energie erzeugen. Dafür muss tiefer, nämlich bis zu acht Kilometer ins Erdinnere vorgedrungen werden, um deutlich heißere Energie zu fördern. Lässt sich diese Innovation umsetzen, wäre mit einem Mal die 140-fache Menge dessen zugänglich, was die Welt momentan an Energie verbraucht!
Wie sehen die aktuellen Zahlen aus? Bislang werden weltweit rund 16,3 Gigawatt an Erdwärme genutzt. Im Jahr 2022 wurden mit Erdwärme 97 Terawatt-Stunden Strom produziert, was 0,3 Prozent der weltweiten Stromproduktion entspricht.
4. Ist das nicht der gleiche Unsinn wie Fracking?
Im Gegensatz zum Erdöl- und Erdgas-Fracking werden in der Geothermie keine toxischen Chemikalien in den Boden eingebracht. Außerdem werden große Mengen Abwasser werden dann wieder in alte Bohrlöcher gepumpt – eine Praxis, die in Texas, Oklahoma und anderen Bundesstaaten schwere Erdbeben verursacht haben. Alles das ist in der Geothermie nicht notwendig. Auch eine Verunreinigung des Grundwassers wie beim Fracking wird bei geothermischen Bohrungen ausgeschlossen.
Was hält den Hochlauf der Geothermie jetzt noch auf? Es ist so, wie wir es seit Jahren auch auf anderen Gebieten miterleben: Wirklicher Fortschritt und technologische Durchbrüche im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation sind nicht nur eine Frage der Technologien – sondern vor allem der Marktlogik und des politischen Willens.
5. Ist die neue Nachhaltigkeitstechnologie überhaupt politisch durchsetzbar?
In den USA wird die Geothermie von vielen Experten als eine „bipartisan“ Technologie angesehen, also als diejenige kommende Energietechnik, welche Republikaner und Demokraten auf ihrer Seite hat. Die Begründung dafür: Geothermie ist ein Durchbruch für die globale Energiewende - und sie könnte dabei die fossile Wirtschaft ins Spiel bringen und den Arbeitern und Ingenieuren der Ölindustrie eine dekarbonisierte Zukunft geben.
Darüber hinaus ist es wohl auch kein Zufall, dass Präsident Trump ausgerechnet Chris Wright zum Energieminister ernannte, Wright ist der Boss einer Fracking-Firma, die jüngst zehn Millionen US-Dollar in Fervo investierte.
6. Die größten Barrieren für die Geothermie
• Investoren müssen zur Kostenreduktion beitragen: Vertrauen für staatliche und private Investoren beim Engagement in der Geothermie ist kurzfristig der wichtigste Faktor für den Geothermie-Hochlauf. Die Technologie steht bereit, doch der Hochlauf ist teuer und setzt das Vertrauen von privaten und staatlichen Investoren voraus.
• Earn trust: In vielen Transformationsprojekten – nicht nur bei der deutschen Wärmewende – misslang die Kommunikation. Da helfen nur Beteiligungsverfahren und eine transparente Informationspolitik. In der Geothermie wird es vor allem darum gehen, frühzeitig die Angst vor ökologischen Risiken zu nehmen.
• Netzausbau muss Geothermie zeitnah integrieren: Lange Genehmigungsverfahren und der Rückstand beim Ausbau der Übertragungsnetze in Europa ebenso wie in den USA verlangsamen die Entwicklungen in der Geothermie.
7. Das Technologieportfolio, das den Durchbruch bringen könnte
• Gestein im Erdinneren wird durch Wasser erhitzt: Das gerade einmal sieben Jahre alte Unternehmen Fervo entwickelt „verbesserte geothermische Systeme“, die dieselben horizontalen Bohr- und Fracking-Techniken wie die Schiefergasindustrie verwenden. Das Startup erzeugt Risse in hartem, undurchlässigem Gestein tief unter der Erde und pumpt sie dann mit Wasser und Arbeitsflüssigkeiten voll. Die heißen Steine erhitzen diese Flüssigkeiten und erzeugen schließlich Dampf, der elektrische Turbinen antreibt. Erweiterte Geothermie, wie sie Fervo betreibt, ist innerhalb der Geothermiemodelle der nächsten Generation der kommerziellen Realisierbarkeit am nächsten, dicht gefolgt von geschlossenen Kreislaufsystemen. Google hat bekanntgegeben, für ein Fervo-Projekt einen Aufpreis zu zahlen, um die CO2-freie Energiequelle schneller ans Netz zu bringen (im Idealfall ohne die Stromrechnungen anderer Verbraucher zu erhöhen).
• Erdwärme als Kreislaufsystem: Das kanadische Startup Eavor, das die Closed-Loop-Methode verfolgt, hat große Fortschritte im Jahr 2024 bei seinem ersten kommerziellen Pilotprojekt im bayerischen Geretsried gemacht. Bei diesen Projekten zirkulieren Flüssigkeiten durch eine lange Reihe abgedichteter Rohre, sammeln Wärme aus darunter liegenden Gesteinen und bringen sie an die Oberfläche. Das Unternehmen bohrt ein System mit vier Kreisläufen, das 8,2 Megawatt Strom ins regionale Netz einspeisen und 64 Megawatt Fernwärme an nahegelegene Städte liefern soll.
• Noch tiefer, noch heißer: Mit der dritten Technologie (superheißes Gestein) beschäftigt sich das MIT-Startup Quaise Energy. Hierbei kommen hochmoderne Bohrwerkzeuge zum Einsatz, um in extremen Tiefen und bei extremen Temperaturen riesige Mengen geothermischer Energie zu erschließen.
• Eine „Erd-Batterie“ für Meta: Sage baut in Christine, Texas, eine 3-Megawattanlage, die Wasser unter die Erde pumpt und Druck aufbaut, der bei Bedarf abgelassen werden kann, um eine Turbine anzutreiben und Strom ins Netz einzuspeisen. Bei Sage ist jüngst Meta eingestiegen. Im August kündigte das in Houston ansässige Unternehmen Sage Pläne an, Meta mit 150 Megawatt Grundlast-Geothermie aus einer einzigartigen Anlage zu versorgen. Im selben Monat startete das Startup ein separates Geothermieprojekt, allerdings nicht zur Erzeugung von neuem Strom, sondern zur Speicherung überschüssiger sauberer Energie im Boden.