Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) wie auch Drogerien können sich auf die Megatrends Gesundheit und demographischen Wandel verlassen. Ein Blick auf den Schweizer Lebensmittelriesen Migros zeigt jedoch, dass an attraktiven Preisen momentan niemand vorbeikommt. Der Handel mit Wohlfühlen und Gesundheit durchlebt eine turbulente Phase.
Das kann sich die Migros, der Schweizer Lebensmittler, der von 2,3 Millionen Genossenschaftern getragen wird, als Gesamtunternehmen nicht länger leisten. Sie hat in letzter Zeit deutlich Marktanteile an die Konkurrenz verloren - insbesondere an Lidl und Aldi. Doch der Plan der Migros-Führung, Marktanteile von Aldi und Lidl über eine Preiskampagne zurückzuerobern, birgt Risiken. So ist unklar, ob die Migros aus Verkaufserlösen und Effizienzgewinnen genug Mittel mobilisieren kann, um die Preisattacke dauerhaft zu finanzieren. Zudem könnte die hauseigene Discountkette Denner zum Kollateralschaden der neuen Kampagne werden, mit der die Migros laut Führung „den Besuch beim Discounter überflüssig machen will“. Auch scheint das Tempo bei den geplanten Neueröffnungen von 140 neuen Läden enorm.
In diesem Jahr hat sich die Migros von zahlreichen Tochterunternehmen getrennt oder einen Verkauf in die Wege geleitet. Darunter die Fachmärkte Melectronics, SportX und Bike World, aber auch das Reiseunternehmen Hotelplan oder der Kosmetikhersteller Mibelle.
dm: die Erfolgsmarke wächst mit Gesundheit, Wohlfühlen und gesunder Ernährung
In Deutschland reagiert der bioaffine dm-Drogeriemarkt durchaus ungewöhnlich auf die Strukturverwerfungen im Handel. Lebensmittel werden für den Drogisten immer wichtiger. dm hat jüngst stark vom Geschäft mit Biolebensmitteln profitiert. Bei Nudeln oder Konserven ist dm stationär und online immer häufiger die erste Adresse. Discount-Kunden hätten im vergangenen Jahr häufiger bei dm Lebensmittel gekauft, verlautbarte der Händler gegenüber der Lebensmittelzeitung (LZ). Etwa bei Öl, Hafermilch und anderen Eckprodukten hatte dm beispielsweise den Preis von Aldi und Co. zuletzt immer wieder unterboten.
Was muss passieren, damit ein erfolgreicher Drogeriemarkt wie dm auf Lebensmittel abfährt? Das habe damit zu tun, dass in der Pandemie der Biomarkt überdurchschnittlich gewachsen sei, weil biologische Lebensmittel von den Konsumenten als gesünder wahrgenommen wurden und die Menschen das Gefühl hatten, sie würden damit ihr Immunsystem stärken.
Für die Niedrigpreisstrategie von dm sind gesunde Lebensmittel auch nach der Pandemie ein Wachstumstreiber, wobei ihr Umsatzanteil in den Läden noch unter zehn Prozent liegt. Das Angebot wird weiter ausgebaut. dm-Chef Christoph Werner hat Gefallen gefunden an der Kategorie: „Auch Lebensmittel-Margen sind auskömmlich. Bei langsam drehender dekorativer Kosmetik kalkulieren wir aber mit anderen Spannen als bei Haferdrink“, schränkte er gegenüber der LZ ein. Dass das Unternehmen dadurch Gefahr laufe, den Fokus zu verlieren, sieht er nicht: „Wir wollen und werden Drogerie bleiben.“
Hohe Kundenzufriedenheit mit Bio – doch Tegut leidet
Bei Kundenzufriedenheit gehört der Bio-Handel ebenso wie die Drogeriemärkte mit einer Gesamtzufriedenheitsnote von 1,84 zum Spitzenfeld der im „Kundenmonitor“ des Servicebarometer, einem Forschungs- und Beratungsunternehmen, untersuchten Branchen. Doch auch hier beginnt der Bio-Wohlfühl- und Gesundheitsbooster während der Pandemie abzuflachen.
Deswegen setzt die Migros jetzt bei ihrer verlustreichen Auslandtochter Tegut, dem deutschen Lebensmitteleinzelhändler aus dem hessischen Fulda das Messer an. Tegut hatte in den vergangenen Jahren in Deutschland Schwierigkeiten, sich zwischen marktmächtigen Konkurrenten wie Rewe und Edeka sowie weltweit agierenden Discountern wie Aldi und Lidl zu behaupten.
Schuld daran ist das spezielle Profil von Tegut. Die Läden bieten den höchsten Bioanteil im deutschen LEH, sind jedoch keine reinen Bioläden. Preislich ist Tegut eher im oberen Segment angesiedelt. Möglicherweise hat das viele der inflationsgeplagten Kunden abgeschreckt. Im vergangenen Jahr hatte Tegut noch den Biofachhändler Basic mit 19 Läden übernommen und ins eigene Filialnetz integriert. Einer Schätzung der „Sonntags-Zeitung“ zufolge, hat Tegut die Genossenschaftler der Migros in den vergangenen Jahren bis zu 600 Millionen Franken gekostet.
Für jede zehnte Filialen wird jetzt ein Käufer gesucht. In der Tegut-Zentrale in Fulda beginnt der Stellenabbau, 120 Vollzeitjobs werden wegfallen. Es ist allerdings gut möglich, dass die Zahl noch steigt. Dann nämlich, wenn es nicht gelingt, für jede überzählige Filiale einen Abnehmer zu finden.
Dass Biolebensmittel nicht mehr gefragt seien, ist also der falsche Schluss. Alnatura, das in der Schweiz zur Migros Zürich gehört, setzt bei den Eidgenossen seinen Wachstumskurs (Ladeneröffnungen) moderat fort. Die deutschen Biohändler Alnatura und Dennree wachsen – nach dem Corona-Gesundheitsschub – solide weiter.