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Hat Trump die Wahl schon gewonnen? 5 Trends und Tendenzen zur US-Wahl

Das Präsidentschaftsrennen im US-Wahlkampf ist so eng, dass es unsinnig wäre, den Gewinner vorhersagen zu wollen. Wer sich für das Wahlverhalten der US-Bürger interessiert, sollte auf den Wertewandel und ökonomische Indikatoren schauen

 

1. Preisschocks wie in den 1970er Jahren

Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass die Inflation, die sich in den USA nach wie vor stärker als in Europa auswirkt, die Wahl entscheiden könnte. Die Lebensmittel-Inflation lag über die vergangenen vier Jahre über 20 Prozent. Ein solcher Preisschock sucht in den USA seit den 1960er Jahren seinesgleichen und ist am ehesten vergleichbar mit der Ölkrise 1973 und dem Preisschock nach der iranischen Revolution 1978. 

 

2. Inflation hat großen Anteil am internationalen Rechtsruck 

Schaut man sich die Wahlen in Europa in den vergangen 18 Monaten an, stellt man fest: Nahezu überall haben die regierenden Parteien teilweise erheblich an Zustimmung verloren - zugunsten der Populisten. Unzufriedene Wähler, die sich um die wirtschaftliche Stabilität sorgen, strafen die Regierungen ab. Ein Hauptgrund für den Rechtsruck in der EU und vielen Länder- und Regionalparlamenten, ist die anhaltende Inflation bei Energie und Lebensmittel im Zuge des russischen Angriffskrieges. 

 

Legen wir diese beiden wirtschaftspolitischen Krisenszenarien zugrunde, müsste Trump eigentlich klarer in Führung liegen, behauptet Helen Thompson. Bislang hat Trump von der Lebensmittel-Inflation und dem Ölpreisanstieg (bedingt durch Chinas schnelle Corona-Erholung) nicht so profitieren können wie die europäischen Populisten.

 

Setzte sich im September die befürchtete Trump-Welle in Gang? Nicht unbedingt. Eher schlug wieder die Inflation zu. Im September erreichte die Teuerung noch einmal Höchstwerte von Jahresbeginn 2023, was Trumps Wahlkampfmanager dazu veranlasste, den Kandidaten in einer McDonalds-Filiale zu inszenieren. 

 

3. Mobilisiert der unsympathische Trump noch einmal die demokratischen Wähler:innen 

Trump erhielt 2020 beachtliche 74 Millionen Stimmen, doch beiden gewann mit gigantischen 81 Millionen Stimmen. Zum Vergleich: Barak Obama reichten 2012: 65 Millionen Stimmen und 2008 69 Millionen Stimmen. Helen Thompson weist außerdem darauf hin, dass eine wahlentscheidende Mobilisierung kurz vor Schluss für die Republikaner letztmalig 2004 den Ausschlag gab. Verantwortlich dafür sei ein Eindruck aus der Wahl von 2020: Wirklich gemocht wird Trump von der Allgemeinheit nicht, laut Thompson konnte er nie sein unsympathisches Image ablegen. Im Lager der Demokraten avancierte er damit zu einem wichtigen Mobilisierer: Bei der Wahl 2020 war zu beobachten, dass der ausgeprägte Hass auf Trump viele demokratische Wähler:innen an die Urnen trieb.

 

4. Wertewandel und demografischer Wandel könnten für Kamala Harris den Ausschlag geben

Immer weniger Weiße nehmen jetzt und in Zukunft an US-Wahlen teil. Grund dafür ist der demografische Wandel. Dennoch haben ihre Stimmen beispielsweise in einem kleinen Swingstate wie New Hampshire, der durchaus die Wahl entscheiden könnte, eindeutig mehr Gewicht. Die angespannte Lage an der mexikanischen Grenze hat Migration (der Fetisch der Populisten) wieder zu einem Triggerthema gemacht. Dabei ist Migration in den USA (und nicht nur dort) ein Innovationsbooster: Diverse Bevölkerungen sind nachweislich dynamischer und kreativer. Kulturelle Vielfalt macht insbesondere die Vereinigten Staaten – seit mehr als 100 Jahren - wirtschaftlich leistungsfähiger als Europa.

 

5. Womöglich gewinnen die Frauen die Wahl

Übergreifende Wertewandelprozesse sind komplexe sozioökonomische Langzeittrends, die mitunter über Jahrhunderte Gesellschaften umtreiben. Sie sind aber schwer fassbar (religiöse Orientierung, Ernährungsgewohnheiten, die Einstellung zum Sklavenhandel, die Akzeptanz von Diversität) – aber sie lassen sich in der Regel nicht einfach durch politische Maßnahmen oder ökonomische Hebel unterbrechen. Frauenrechte sind ein solcher grundlegender Wertewandel. Angestoßen von der britischen Schriftstellerin Mary Wolstonecraft schon im 18. Jahrhundert, hat der Feminismus in den vergangenen 200 Jahren viele Rückschläge erlitten. Doch auch dieser Wertewandel scheint unumkehrbar.  

 

Die Änderung des US-Abtreibungsrechts hat Frauenthemen in der Wahlagenda weit nach oben gespült. Die Demokraten, insbesondere Michelle und Barack Obama, setzen darauf. Frauen, die sich vom Macho-Wahlkampf Trumps abgestoßen fühlen, sollen kommenden Dienstag im Harris‘ Lager landen. Darüber hinaus hat sich Barack Obama der Ansprache der schwarzen Männer verschrieben, um den Gender-Gap (Männer für Trump, Frauen für Harris) abzumildern. In den letzten Tagen vor der Wahl geht es bei den Demokraten deshalb darum, „mehr Frauen zu gewinnen als Männer zu verlieren“. Der Wertewandel ist bei den Männern noch nicht angekommen: Frauen wurden ausdrücklich aufgefordert, vor Ort im Wahllokal abzustimmen: „Wenn Sie per Briefwahl wählen, schauen Ihnen Ihre Ehemänner über die Schulter. Im Wahllokal können Sie ihre Stimme abgeben, ohne dass sie dabei beeinflusst werden.“