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Demokratie braucht Zukunft um zu überleben

Entreißt den Populisten die Herrschaft über die Debatten und die Zeit. Sie gewinnen, wenn wir ihnen immer wieder das Narrativ der ausweglosen Gegenwart abkaufen. Demokratie braucht Vertrauen in Erneuerung und eine gestaltbare Zukunft. Anmerkungen eines "vorbehaltlichen Optimisten" 

 

Was macht die momentane politische Lage so schwierig: das Fehlen eines Zukunftsbilds. Ohne die Vorstellung einer lebenswerten und für alle zustimmungsfähigen Zukunft kommen wir im politischen Alltag nicht weiter. Es ist ja nicht so, dass es keine Projekte und Herausforderungen gäbe, anhand deren sich eine fortschrittliche Identität für viele Menschen aufbauen ließe. Die Einhegung des Klimawandels, der Bau eines CO2-freien weltweiten Energiesystems, der nachhaltige Umbau der Landwirtschaft, alles das - wir wissen es längst - rückt Zukunft, und zwar eine bessere Zukunft in den Blick.

 

Aber was blockiert den Zugang zu dieser Vision, die ganz nebenbei in den kommenden Jahren auch noch jede Menge Arbeitsplätze schaffen wird? Es ist das populistische Narrativ. 

 

Die Rhetorik des Ausnahmezustands entspringt den rechtspopulistischen Drehbüchern

 

Der Politologe Jonathan White hat diesen Zusammenhang präzise herausgearbeitet. Dabei trifft er den entscheidenden Punkt, wenn er erklärt, dass Demokratie ohne die Aussicht auf ein gutes Leben in der Zukunft nicht überlebensfähig ist. Die Blockade besteht darin, dass Populisten vor allem in den SocialMedia ihr Narrativ der permanenten Krise und der schlechten Laune durchsetzen. Das zentrale Moment dabei ist eine Rhetorik der permanenten Krise und des Ausnahmezustands. Wer jede Veränderungsmaßnahme von der Plastikverordnung bis zum Radwegebau kritisiert und sich parlamentarisch komplett verweigert, der gewinnt dadurch nicht nur frustrierte und rachelüsterne Protestwähler:innen, er zerstört vor allem das Vertrauen in Institutionen, in die Gestaltung von Veränderung - er zerstört das Grundvertrauen auf eine bessere Welt in der Zukunft. 

 

Was die Populisten tun: Sie beschwören einen Ausnahmezustand und vergiften mit ihrem zersetzendes Begriffsarsenal den Diskurs mit paranoider Semantik: Chaos, Kontrollverlust, Zusammenbruch, Apokalypse, Untergang, Notstand, Ausnahmezustand etc. Dystopie ist die Winning Strategy der Populisten. Das Ergebnis sind nicht nur gesellschaftliche Spaltung, Verrohung der Kommunikation und Fremdenfeindlichkeit – vor allem der Gedanke an eine positive Zukunft wird zugunsten der Fixierung auf eine erstarrte, sozial und moralisch dem Tiefpunkt zusteuernde Gegenwart aufgegeben. Und in dieser „fensterlosen Gegenwart“ wird ein Cocktail aus Miesepetrigkeit und Eskapismus verabreicht.

 

Wir leiden an realen Krisen und der Verdunkelungsrhetorik der Rechten

 

White spricht immer wieder von der „Radikalisierung des Status quo", also der aktuellen politischen Lage im Hier-und-Jetzt. Diese Radikalisierung möchte uns den Glauben an Fortschritt und eine bessere Welt abgewöhnen und verfolgt eine Doppelstrategie: Zum wirkt sie im Sinne der Eskalation und Skandalisierung der aktuellen Lage (Stichwort permanenter Wahlkampf). Darüber hinaus fesselt uns das populistische Narrativ an eine - scheinbar - unentrinnbaren Gegenwart, die Entwürfe einer erstrebenswerten Zukunft von Woche zu Woche immer mehr als eine weltfremde Illusion erscheinen lässt. So gesehen sind wir im Jahr 2024 von einer doppelten Krisenerfahrung geplagt: Besorgt beobachten wir, wie mühselig die Lösungen voranschreiten, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen (während gleichzeitig immer mehr Menschen aus der Klimaberichterstattung aussteigen: News Fatigue). Hinzu kommt die Diskurshoheit der Populisten (die kulturelle Hegemonie der Nörgler, Frauenfeinde und Nihilisten), deren Ziel es ist, die Arbeit an einer möglichen Zukunft zu sabotieren. 

 

Im Grunde ist die Lösung aus dieser doppeltnegativen Umklammerung gar nicht so schwer. Ich habe die Antwort oben bereits ansatzweise gegeben. Es muss uns gelingen, neues Zukunftsvertrauen zu schaffen, unter anderem durch Vertrauen in die kollektive Anstrengung der sozial-ökologischen Transformation. 

 

Diese Transformationen - das haben wir in den vergangenen Jahren allerdings nicht überzeugend vermitteln können - ist kein linearer Vorgang unter Laborbedingungen, der sich in einem definierten Zeitraum von A nach B vollzieht. Transformationsprozesse sind ein Wagnis, bei dem nicht alles sofort gelingen kann. Mit Transformationsprozessen, bei denen viel auf dem Spiel steht, machen sich Visionäre angreifbar. Für Rechtspopulisten ist es ein Leichtes, auf Fehler und Schwächen der Umsetzung hinzuweisen. Wer nichts tut und nur kritisiert, macht nichts falsch. Doch wer die Menschen für eine kollektive Zukunftserzählung gewinnt, kann die Welt verändern.

 

Gefangen in einer Politik der Kurzfristigkeit und der aufgekratzten Krisenerwartung

 

Die Binsenweisheit, dass die Veränderer immer in der Beweislast seien, trifft angesichts von Klimawandel, Energiewende und Digitalisierung nicht mehr zu. Eigentlich müsste in unserer Öffentlichkeit die Regel gelten: Es darf alles kritisiert werden, dafür wird jedoch nicht jedes wohlfeile Argument akzeptiert. Und grundsätzlich haben die Kritiker Gegenvorschläge zu unterbreiten, ansonsten fallen sie – so die Idealvorstellung - durch das Aufmerksamkeitsraster einer selbstbewussten demokratischen Öffentlichkeit. 

 

Der Einstieg in die Loslösung aus dieser zukunftsblinden, bleiernen Gegenwart muss in einer Analyse bestehen, die zeigt, wie politische Paranoia und dystopische Gefühle seit Jahren von den rechtspopulistischen Zynikern erzeugt werden. Sie entstand im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 (ohnehin ja ein Gründungsmythos der AfD), in der tatsächlich schnelles Handeln gefragt war (Wolfgang Schäuble: „Am 28., 24 Uhr, isch over“). Seitdem, so würde ich behaupten, sind wir in einer Politik der Kurzfristigkeit und der aufgekratzten Krisenerwartung gefangen. Wir müssen uns endlich bewusst machen, dass dieses überstürzte Handeln in der (eingebildeten) Ausnahmesituationen unsere Demokratie zerstören kann, weil sie Wähler:innen und politische Akteure im Gefühl der Ausweg- und Alternativlosigkeit zurücklässt. Wie Platos Höhlenbewohner reagieren wir gebannt auf die Blitze, das Flackern und Irrlichtern der populistischen Diskussion und merken gar nicht, dass wir dabei der Realität (dem Licht und dem Ausgang aus der Höhle) den Rücken kehren. "Natürlich gibt es in der Politik auch Sachzwänge. Aber wenn das ihre einzige Legitimation ist, wird es schwierig. Wenn alles Visionäre verschwindet, ist Politik nur noch reaktiv und technokratisch", beschreibt White die Gefahren einer Politik der Kurzfristigkeit.

 

"Die erste Generation, die die Welt zu einem besseren Ort macht"

 

Mein „vorbehaltlicher Optimismus“ (Hans Rosling) leitet sich aus Folgendem ab: Zeit ist ein entscheidender Faktor, wir müssen die Herrschaft über die Prozesse wiedergewinnen. Dafür brauchen wir Ideen, Visionen, Horizonte. Kurzfristigkeit, Politik ohne Mut zur Zukunft, Affekt und Polarisierung sind die Geschäftsgrundlage der Populisten (sie haben keine Vorstellung von einer besseren Welt). Doch unsere Lage ist nicht ausweglos – wir müssen nur endlich anfangen, über Fakten und Lösungen zu diskutieren. Darin liegt ein Ausweg: Raus aus dem Kurzfrist-Denken (von Talkshow zu Talkshow, von Landtagswahl zu Landtagswahl, von Legislaturperiode zu Legislaturperiode). Es braucht das Wagnis eines "Longtermismus" in der Politik, einer Politik des langen Atems, die Menschen – Schritt für Schritt, aber mit dem Blick nach vorne – für die Zukunftsprojekte der kommenden Jahre begeistert und sie an dieser Zukunft (auch ökonomisch) beteiligt. 

 

Wie es die junge Kollegin Hannah Ritchie formuliert: "Wir können die erste Generation sein, die Welt zu einem besseren Ort macht.“