Das nächste Schlachtfeld der Klimaleugner: Krieg gegen Wissen und Wahrheit

Dass es das Ziel der Rechtspopulisten ist, durch Infragestellung unseres Wirklichkeitsmodells („Die Erde ist keine Scheibe, der menschengemachte Klimawandel ist real“) für Hoffnungslosigkeit und Verdruss zu sorgen, ist bekannt. Die nächste Stufe in dieser „epistemischen Schlacht“ hat bereits begonnen: Wissenschaftler, Politiker, Ärzte und einfaches Hilfspersonal, die in der Realität agieren, werden mit dem Tod bedroht. Ziel ist die Zerstörung von Vernunft, öffentlichen Institutionen und rationaler Organisation.

 

Das nächste Schlachtfeld im Kampf der Klimaleugner wurde im vergangenen Jahr im Zuge der globalen Umweltkatastrophen eröffnet: „Was wir online während und nach diesen Hurrikanen erleben, ist eine Gruppe von Menschen, die verzweifelt versucht, die dunkle, fiktive Welt zu schützen, die sie aufgebaut haben“, so hat es Charlie Warzel kürzlich in „The Atlantic“ beschrieben. Rechtsradikale und Klimaleugner (sie lassen sich nicht trennen) suchen hektisch nach Reaktionsformen, um das mittlerweile Augenscheinliche zu leugnen: die Klimakrise. 

 

Anstatt sich mit der Realität eines sich erwärmenden Planeten auseinanderzusetzen, der ihnen alle paar Wochen Stürme beschert, wie sie nur einmal in einer Generation vorkommen, verleumden und bedrohen Rechtsradikale lieber Meteorologen, die in ihren Augen „nichts weiter als ausgebildete subversive Lügner sind, die darauf programmiert sind, dummen Mist zu verbreiten, um den Schwachsinn über die globale Erwärmung zu unterstützen“, wie es ein X-Benutzer ausdrückte. Mit Demagogie, Terror und Gewaltandrohung können sie sich auf die verständliche Neigung vieler Menschen berufen, vor drängenden Problemen die Augen zu verschließen.   

 

Die epistemische Krise (kurz gesagt, die Infragestellung des naturwissenschaftlichen Realitätsmodells), die dadurch eskaliert, zielt nicht nur auf Realitätsleugnung - sie soll verunsichern und das dystopische Gefühl kultivieren, dass ohnehin alles scheißegal ist. Putin bereitet die russische Bevölkerung mit Lügen, pseudoreligiösem Pathos, historischer Fälschung und absurden Verschwörungstheorien seit Jahren auf das Leben als entindividualisierte Ameisen in der Diktatur vor. Der Verlust der Wahrheit geht einher mit Demokratieverlust, dem Recht des Stärkeren und Aufhebung individueller Freiheit. 

 

Was die Sache zusätzlich verkompliziert. Absurditäten und dummes Zeug sind tragende Elemente im Kampf gegen die Wahrheit. Wie eine entmutigte Meteorologin vergangene Woche auf X schrieb: „Murdering meteorologists won't stop hurricanes“ („Meteorologen zu ermorden wird Hurrikane nicht stoppen“). Sie fügte hinzu: „Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade tippen musste.“ 

 

Klar ist, dass ein neuer Rahmen erforderlich ist, um diese Aggression gegen die Bewahrer von Vernunft und Faktenorientierung zu beschreiben. Wir erleben nichts weniger, als einen kulturellen Angriff auf jede Person oder Institution, die in der Realität operiert. Wenn Sie ein Wettermann sind, sind Sie ein Ziel. Dasselbe gilt für Journalisten, Wahlhelfer, Wissenschaftler, Ärzte und Rettungskräfte. Diese Berufe sind unterschiedlich, aber eines haben sie gemeinsam: Sie müssen sich mit der Welt befassen und sie so beschreiben, wie sie ist.

 

In gewisser Weise sind diese Angriffe – und ihre zunehmende Verzweiflung – nachvollziehbar. Die Welt erscheint düster, und das macht Angst. Viele Menschen sind versucht, dem mit dem Irrglauben zu begegnen, sie hätten alles im Griff und die Mächtigen hätten sich gegen sie verschworen (was ihnen das Chaos in den Socialmedia täglich bestätigt). Doch indem sie sich in einfache Lösungen und Allmachtsphantasien flüchten, verschärfen sie die fundamentale Orientierungskrise. Die US-Wahl könnte der Auslöser für den nächsten Eskalationsschritt sein, wenn das Ergebnis erneut angezweifelt wird. 

 

Eines sollten wir uns vor Augen halten: Immer mehr westliche Gesellschaften sind nicht nur durch ihre politischen Überzeugungen gespalten, sondern auch durch die Frage, ob sie an eine gemeinsame Realität glauben – oder sich überhaupt eine solche wünschen.

 

Wie der Dissoziation von Wahrheit und Gesellschaft zu begegnen ist, haben wir an dieser Stelle schon häufig erörtert. Bildungsinstitutionen sind damit mittlerweile überfordert, Factchecking alleine reicht nicht aus, um die Desinformationskrise zu beenden. 

 

Es wird zu prüfen sein, welche Rolle künftig beispielsweise der Plattform X spielt, die sich – hier von mir mehrmals erwähnt – zu einem reichweitenstarken Supermedium der Verabschiedung von Sinn, Wahrheit und Empathie entwickelt hat („Demokratieverachtungsmaschine“). Wird das im Sommer von der EU gegenüber X eingeleitete Verfahren neben einer Geldstrafe weitere Konsequenzen haben, während Musks Starlink-Internet-Satelliten für die Ukraine im Kampf gegen Putin wichtige Dienste leisten? 

 

Das europäische Satellitensystem Iris steckt einstweilen noch in den Kinderschuhen.