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Auf in die "Solar-Hood": Nachbarschaft als Klimaschutzprojekt

Wir wissen, dass die Klimapolitik der entscheidende Hebel im Kampf gegen die fortschreitende Erderwärmung ist. Nur 57 Unternehmen sind für 80 Prozent der Treibhausgasemissionen seit 2016 verantwortlich, viele von ihnen haben ihren Ausstoß gegenüber 2016 erhöht. Da sind der CO2-Rechner für den individuellen Fußabdruck, den BP 2004 aus Werbegründen zur Verfügung stellte, eine bizarre Verursacherumkehr. Doch Unternehmen, nicht nur in Deutschland, haben in den vergangenen Jahren Beeindruckendes geleistet, um Fortschritte bei der Dekarbonisierung der Industrie zu erzielen. Der peinliche Hinweis des Ex-Shell-CEOs Ben van Beurden 2019, um den Klimawandel zu bekämpfen, sollten die Kundinnen und Kunden doch bitteschön Recycling betreiben und sich der Jahreszeit gemäß ernähren, fällt da fast nicht mehr ins Gewicht. Ich erkläre unseren Studierenden immer, dass politische Maßnahmen, die im Dialog mit der Industrie in innovatives Handeln umgesetzt werden müssen, der klimapolitische Königsweg sind. Aber jeder einzelne von uns kann, wenn er halbwegs alle Tassen im Schrank hat, im Alltag etwas gegen den Klimawandel tun.      

 

Doch Menschen fallen Verhaltensänderungen schwer, weil wir alle mitunter sich widersprechende Ziele verfolgen. Kurz gesagt, wir lieben Convenience und Conscience, Bequemlichkeit und bewussten Konsum.

 

Dabei könnten wir laut Project Drawdown, eine Organisation, die sich für Klimalösungen einsetzt, durch individuelle und private Maßnahmen – von der Reduzierung von Lebensmittelabfällen bis hin zur Installation von LED-Beleuchtung – etwa 25 bis 30 Prozent der Treibhausgas-Emissionen einsparen, die nötig wären, um die extrem gefährlichen Aspekte des Klimawandels zu vermeiden. Und dem World Resource Institute zufolge lassen sich ein weiterer Ausbau der Landwirtschaft und die Abholzung von Wäldern verhinderen (und die Treibhausgasemissionen würden deutlich sinken), wenn Menschen in Ländern mit hohem Rindfleischkonsum wie etwa den USA 1,5 Hamburger weniger pro Woche essen würde. 

 

Doch Faktenwissen und die Einsicht in die Notwendigkeit alleine - auch das lässt sich mittlerweile mit Studien erhärten - reicht nicht aus. Von den sechs Interventionen zur Verhaltensänderung der Menschen war die Bereitstellung von Daten und Informationen laut einer Datenanalyse aus 430 Primärstudien sogar am wenigsten erfolgreich, während vor allem finanzielle Anreize wie Rabatte, Coupons und Bußgelder wirksamer auf Verhaltensänderungen einwirken. 

 

Eine interessante Neuigkeit besteht darin, dass offenbar Prestigeempfinden, also soziale Vergleiche („was macht mein Nachbar“), den stärksten Einfluss auf Verhaltensänderungen ausüben. Werden Konsument:innen darüber informiert, wie ihr Energieverbrauch im Vergleich zu ihren Nachbarn ausfällt, verringerten Vielverbraucher ihren Verbrauch oft um ein bis zwei Prozent. Sehen Menschen Solarmodule auf den Dächern der Nachbarn, motiviert das viele, diese ebenfalls  zu installieren. Experten der Meta-Studie bestätigen, dass dieser virale Effekt ohne Kaufgespräche zustande kommt: „Die Leute sehen, dass jemand, der Ihnen sehr ähnlich ist, eine neue Technologie übernimmt und entschließen sich ebenfalls zum Kauf“. 

 

Hierzulande funktioniert das offenbar besonders gut. 2024 wird sich die Zahl der "Balkonkraftwerke" wieder mindestens verdoppeln. Und Zukunftstechnologien sind ein guter Anlass, um die gesellschaftlichen Bindekräfte zu stärken. 

 

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Herbst.

 

Inspirieren Sie Ihre Nachbarschaft und bleiben Sie hellwach!

Ihr

Dr. Eike Wenzel