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Wie kann sich Deutschland erneuern?

Die Matroschka des autoritären Stillstands
Die Matroschka des autoritären Stillstands

Die AfD zwingt Regierung und Opposition den permanenten Wahlkampf auf. Eine brandgefährliche Situation, denn damit wird verantwortungsbewusstes Handeln schwerer. Und während Unerledigtes (Klimawandel, KI, Fachkräftemangel) eskaliert, erstarrt die Politik in Selbsthypnose  

 

Die aktuelle Lage hat den Vorzug der Klarheit: Politikmachen und damit Zukunft gestalten, wie es seit Jahren geschieht, wird von den Wählerinnen und Wählern nicht mehr akzeptiert. Dabei ist es ganz egal, ob bei den Stimmengewinnen der Rechtsradikalen Frust, Transformationsmüdigkeit oder faschistische Gesinnung, TikTok, SocialMedia oder ganz direkt Putin die Hände im Spiel haben. Die sich abzeichnende politische Handlungsparalyse in Thüringen, hervorgerufen durch das kaputte und zerstörerische Verhalten der Faschistenpartei AfD, könnte dem Bundesland auf mittlere Sicht den Zugang zu modernen Technologien, Wohlstand und Modernisierung versperren. 

 

Wir sollten uns die Disruption, die augenblicklich gegenüber unserem demokratischen Modell stattfindet, präzise vor Augen führen. Wir erleben – von der AfD immer wieder angekündigt – die Zersetzung des repräsentativ-demokratischen Konsensmodells, das seit der Gründung der Bundesrepublik für das Regieren gesorgt hat. Das Dramatische besteht darin, dass die Zerstörung der politischen Handlungsebene zwar von den Rechtspopulisten schon länger betrieben wird – die andere Oppositionspartei CDU/CSU und die regierungsinterne „Dissensagentur“ FDP das Zerstörungswerk der AfD im Sinne der eigenen Profilierung (bei den Christdemokraten funktioniert es wenigstens) nutzen. Die Parteien mit dem christlichen C als Profiteure der Zerstörung demokratischer Strukturen?

 

Der populistische Teufelskreis schließt sich

 

Im Interview mit der Tageszeitung (TAZ) weist der Politologe Wolfgang Schroeder auf ein prägendes Merkmal dieses politischen Momentes hin: es geht um Politik im Affektzustand. Um überhaupt noch Wähler:innen zu erreichen, erklärt Schroeder, sind Emotionalität und Schnelligkeit auf Basis minimalisierter Programmatik und Wertesensibilität gefragt (Preisfrage: Was würde Kanzlerkandidat Friedrich Merz anders machen als die Ampel, käme er in Regierungsverantwortung? Nicht viel.) Für den Politologen Schroeder sind die aktuellen Wahlsiege der CDU mit dem fast kompletten Verlust der Sachdebatten in den Parlamenten erkauft. SPD und Grüne erreichen die gesellschaftliche Mitte nicht mehr, weil sie nach wie vor (und zunehmend verzweifelt) auf Veränderung und Sachorientierung bestehen – dafür von der AfD, CDU/CSU), der Springer-Presse und dem „Regierungspartner“ FDP verunglimpft werden. Politik als Selbstzerstörungsprozess.

 

Was tun? Parteien, so Schroeder weiter, müssten „rasch mit Inhalten, Bildern, Ideen, Symbolen auf wechselnde Themen reagieren. Dafür braucht man eher Werbeagenturen als schwerfällige Gremien“. Doch damit schließt sich der populistische Teufelskreis, Friedrich Merz und Markus Söder bewegen sich gerade in dieser Umlaufbahn: Zuspitzen, Anfüttern, Skandalisieren und wenn ausreichend aufmerksamkeitsstark: am nächsten Tag komplett die Richtung ändern. Schroeder spricht hier diabolisch von „der Fähigkeit, die Position wechseln zu können“.

 

Herbst 2024: Politik schafft sich selbst ab

 

Die Folge: das gesamte politische System agiert eigentlich nicht mehr, weil es sich im permanenten Wahlkampf befindet. So schafft Politik sich selbst ab. Und das ist verdammt gefährlich. 

 

Seit Sommer 2023 leben wir unter dem Bann dieser postfaktischen, Innovationen blockierenden Politik, wobei sich die letzte verbliebene Volkspartei CDU/CSU ihre Stimmen im Windschatten der Demokratiezerstörungskampagnen der Rechtsextremen teuer erkauft.

 

Die Verlierer stehen fest: Scholz, der gegen das Wabern und Wallen der Stimmungsdemokratie vergeblich die „ruhige Hand“ ins Spiel bringt. Habeck, der sich moralisch der sozial-ökologischen Transformation verbunden fühlt, mutiert zum uncoolen Robert, weil er sich nicht jeder Themenkonjunktur an den Hals wirft. Und Christian Lindners FDP implodiert, weil sie quasi als Drittverwerter des populistischen Zerstörungs-Narrativs unter den Sonstigen rangiert.

 

In Vergessenheit gerät bei alledem das (und das ist das Schmerzliche), was die Aufgabe von Politik ist: handlungsfähig zu sein und Zukunft zu gestalten. Freilich, das AfD-Narrativ der Zersetzung und der Paralyse von politischer Handlungssouveränität hat zu fragwürdigen Aufmerksamkeitsgewinnen von Christdemokraten wie Voigt, Kretschmer, Merz und Söder geführt. Aber was zählt das, wenn dadurch beispielsweise Projekte und Diskurse zum existenziell wichtigen Klimaschutz komplett von der Bildfläche verschwinden?

 

Ohne Umweltaktivisten lebten wir noch im Jahr 1929

 

Allen politischen Akteuren, die jetzt durch den rechtsradikalen Angriff auf die Demokratie bittersüße Krisendividende einstreichen, sei zugerufen, dass sie gerade dabei sind, das Projekt der Modernisierung zu verraten und an dem (technologisch machbaren) Ausstieg aus den fossilen Energieträgern als Basis für eine neue Weltwirtschaftsordnung kläglich zu scheitern. 

 

Wer da eine "nachhaltige Vision für die Zukunft" vermisst, schaut nicht richtig hin. Ohne die epochale Implementierung der Erneuerbaren Energien, befänden wir uns jetzt noch auf dem technologischen Stand von 1920, müssten unsere fossilen Reserven verbrennen und wären unrettbar der Klimakatastrophe ausgesetzt, so formuliert es der junge Oxford-Philosoph William MacAskill. Zwischen 2000 und 2020 sank der Preis für Photovoltaikanlagen um 92 Prozent, eine industrielle Revolution folgenreicher als das Internet. Zurecht schreibt MacAskill diese bahnbrechende Innovation, die das weltweite Energiesystem auf den Kopf stellt und dafür den Friedensnobelpreis verdient hätte, „zu einem großen Teil den deutschen Umweltaktivisten“ zu.    

 

Weniger Friedfertigkeit bei den links-autoritären Nationalisten: Im Zustand eines Schlafwandlers haben wir jahrelang die Pläne eines destruktiven Narzissten wie Oskar Lafontaine unterschätzt. Auch darauf geht Wolfgang Schroeder ein: Lafontaine, so Schroeder, setze über das BSW seinen Kreuzzug gegen die SPD fort; Rache ist süß: der zornige Greis Lafontaine hat nichts anderes im Sinn, als die deutsche Sozialdemokratie zu vernichten. 

 

Fazit: Abschied von der Zukunft?

 

Teile dieses Landes, Menschen und Milliardenkonzerne, Volkswagen ebenso wie der ostdeutsche Minijobber, der rechtsextreme AfD-Politiker wie der transformationsgeschädigte Metallbauer scheinen entschlossen, sich in einer bleiernen Gegenwartsfixierung von einer lebenswerten Zukunft zu verabschieden: Möge doch alles so bleiben wie es ist. Doch real ist der Klimawandel, er zerstört. Schon das nächste Starkregenereignis könnte eine hierzulande eine Großstadt oder ganze Landstriche verwüsten. Warum interessiert uns das nicht, wo es uns doch alle bald treffen könnte? Ist es selbstgefällige Ignoranz oder eiskaltes Kalkül, wie bei den autoritären Schwestern Weidel und Wagenknecht? 

 

Beim weltweiten Hochlauf der Elektromobilität sieht es übrigens richtig gut aus, die Prognosen für 2024 werden vielleicht sogar übertroffen. Nur VW (und andere deutsche Autobauer) haben ein Problem mit den chiquen Batteriefahrzeugen. Der gescholtene Bundeswirtschaftsminister hat das Versagen der deutschen Automobilisten vor Jahren prognostiziert. Das wollte niemand wahrhaben. Deutschland demontiert sich gerade selbst. Vielleicht weil es sich eine bessere Zukunft nicht zutraut? Der deutsche Michel steht verzagt hinter dem Vorhang, während draußen die Realität passiert.

 

Wann fangen wir an, Lösungen zu entwickeln?