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Thüringen: Mit dem Populismus-Ticket zurück in die Steinzeit?

Populistische Themenverwirrung: Seit wann wird bei der Thüringen-Wahl über den Frieden entschieden?
Populistische Themenverwirrung: Seit wann wird bei der Thüringen-Wahl über den Frieden entschieden?

In Thüringen erreichen erstmals zwei autoritär-populistische Parteien eine Parlamentsmehrheit. Das Gift der Affektpolitik könnte zu einem Komplettverlust von Innovationsfähigkeit in dem strukturschwachen Bundesland führen. Den Menschen vor Ort ist - angeblich – ohnehin egal, ob Demokratie oder Autokratie.

 

Eine Kolumne zu den Auswirkungen populistischer Anti-Politik mit Blick auf einen klugen Oberbürgermeister, der Mut macht. 

 

In der empfehlenswerten Deutschlandfunk-Sendung „Zur Diskussion“: Nach Landtagswahlen - Brandmauer oder Pragmatismus vom 4. Sept. 2024 äußeren sich zwei Landes-, bzw. Kommunalpolitiker:innen. An der Diskussion nahmen auch noch Annette Binninger, Chefredakteurin der Sächsischen Zeitung und Holger Lenkfeld, Professor für Soziologie an der Universität Leipzig, teil. Ich beschränke mich auf wenige Aussagen von Thomas Zenker, Oberbürgermeister Zittau, parteilos und Martina Schweinsburg, CDU Thüringen. Spektakulär ist das Rollenverständnis der beiden politischen Akteure während des Radiogesprächs. Daran lassen sich wichtige Dilemmata der aktuellen Politik festmachen. Das Transkript der Sendung lässt sich über den Apple-Podcatcher einsehen.

 

Populistische Affektpolitik blockiert Fortschritt und Zivilgesellschaft

 

So unbegreiflich es einem manchmal vorkommen mag, aber der Rechtspopulismus und seine Affektpolitik, die insbesondere in den sozialen Medien stattfindet, hat in vielen Menschen ein bizarres Gefühl der Selbstermächtigung erzeugt. Wählerinnen und Wähler - erwachsende Menschen – wirken in den Socialmedia vollgepumpt mit realitätsfernen Erwartungen. Jeder Bürger, jede Bürgerin kann sich in den Socialmedia ungefragt äußern, fast jeder wird - wie hirnlos und absurd die Äußerungen auch sein mögen - in einer Blase Aufmerksamkeit finden (und sei es auch nur das „Like“ eines Chatbots). 

 

Der Rechtspopulismus hat das sehr schnell kapiert. Und er hat zügig auf die Selbstermächtigungsphantasien reagiert. Da es den Populisten ohnehin nicht um inhaltliches Vorankommen und Problemlösungen geht, sondern um das Hervorkitzeln und die strategische Kanalisierung von niederen Instinkten, nutzen sie Socialmedia, um Wählerinnen und Wähler von einer Regression auf niedere Instinkte zu überzeugen: Willkommen bei Affektpolitik und Anti-Politik. 

 

Wie diese Regression funktioniert hat Hannah Arendt am Beispiel des Nationalsozialismus analysiert: „Der ideale Untertan totalitärer Herrschaft ist nicht der überzeugte Nazi oder engagierte Kommunist, sondern Menschen, für die der Unterschied zwischen Fakten und Fiktion, wahr und falsch, nicht länger existiert.“ (Hannah Arendt: „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, Totalitarismus“ (1951), München 1991.) 

 

Zuletzt wurden AfD-Wähler (ebenso wie Opfer von rechtspopulistischer Kopfwäsche weltweit) bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen dazu animiert, grundlegende Sozialisierungserfahrungen in einem Gemeinwesen über Bord zu werfen und an einfache Lösungen und in digitalen Trollfarmen erzeugte Lügen- und Hassnarrative zu glauben. Wie soll Kommunalpolitik (die institutionelle Matrix, die Leben der Menschen vor Ort organisiert, dafür gibt es auch den schönen Begriff der „Daseinsvorsorge“) das zurückübersetzen? Für eine erfolgreiche Regionalpolitik braucht es eine verbindliche Realitätsbeschreibung, zu der Fakten und Informationen gehören – der Rechtspopulismus setzt dem eine Politik der Affekte und der niederen Instinkte entgegen. Mit welchem Ziel eigentlich: Demokratie und Liberalität abzuschaffen.

 

Ohne verbindliche Realitätsbeschreibung ist Politik machtlos

 

Einen kompetenten und engagierten Lokalpolitiker wie Thomas Zenker stellt das vor eine kaum lösbare Aufgabe, wenn er gegen weltfremde Ermächtigungsphantasien von rechten Demagogen anargumentieren soll: „Aber das, was da (von Rechtspopulisten im Wahlkampf) erklärt wurde, das hat mit kommunaler Selbstbestimmung, mit demokratischer Wahrnehmung vor Ort nichts zu tun. Also ich weiß nicht, ob ich Leute in Verantwortung holen will, die einerseits, ich nenne ein Beispiel, den sogenannten „Sächxit“ predigen, weil wir angeblich in Sachsen uns selber versorgen können. Das sind dann mindestens Leute, die nicht wissen, wie die Bundesländer sich finanzieren.”

 

Allen ist klar, dass Populisten nicht gestalten, sondern zerstören wollen. Dafür sitzt die AfD seit Jahren in den Parlamenten und Kreistagen. Doch wie soll man mit „Politikerinnen und Politikern“ kooperieren, die angetreten sind, Zusammenarbeit zu zerstören? Und wie mit Bürger:innen und Bürgern Zukunft gestalten, die sich in einem Regressionszustand befinden und - sozialmedial trainiert - nur noch auf niedriger Affektebene ansprechbar sind? Es geht nicht. Populisten gestalten keine Politik, sie organisieren Unzufriedenheit: „Ich habe aber noch keine, noch nicht eine einzige Idee oder Adresse oder Rezept gehört, wie es danach weitergeht. Aber die Formulierung, es müsste mal so richtig knallen, die habe ich sehr oft gehört”, so OB-Zenker.

 

Zenker ist ein kluger Kopf und macht erfolgreiche Kommunalpolitik. Akteure vor Ort, so erklärt er es, müssten auf die populistische Affektkommunikation mit dem Verweis auf das sächsische Finanzausgleichsgesetz und den Bundesfinanzausgleich reagieren. Aber die Wähler:innen vor Ort möchten nicht informiert werden. „Das ist eine gigantische Verhandlung alle zwei Jahre im Finanzausgleichsgesetz in Sachsen, womit wir natürlich nicht zufrieden sind, die andere Seite aber auch nicht. Dann gibt es den Bundesfinanzausgleich, da ist es ähnlich. Und das alles auszublenden, ich muss ganz ehrlich sagen, das ist etwas, was mich inzwischen wirklich sehr stark beschäftigt.“

 

Aus der Perspektive von Landes- und Kommunalpolitik ginge es zunächst darum, sich über eine gemeinsame Realitätsbeschreibung zu verständigen, bestehend aus demokratischen Beratungen, institutionellen Vernetzungen und eben einem Finanzierungswerkzeug wie den Bundesfinanzausgleich. Zenker: „Wie kriege ich denn die Leute dahin, Realitäten anzuerkennen und nicht nur Forderungen aufzustellen?”

 

Populismus lenkt davon ab, dass wichtige Dinge angepackt werden müssen

 

Man kann Zittaus OB nur bewundern, der offenbar unverdrossen trotz des Realitätsbruchs erklärt und politisch handelt. Keine Spur von Herablassung, wenn Zenker erläutert: „Meine Vermutung ist, die Menschen, die die AfD wählen, haben politische Vorstellungen, die sich nicht umsetzen lassen, weil wir Pfadabhängigkeiten haben. Also Stichwort Migrationspolitik. Nehmen Sie mal alle möglichen Menschen, die eine nicht deutsche Staatsangehörigkeit haben und ein Aufenthaltsrecht aus der deutschen Wirtschaft raus, dann haben wir eine ordentliche Wirtschaftskrise.”

 

Rechtspopulismus funktioniert wahrscheinlich nicht ohne Socialmedia. Denn eine wichtige Strategie populistischer Realitätszertrümmerung besteht darin, dass regionale Themen gar nicht bearbeitet werden, sondern von den einschlägigen Triggerthemen (Migration, Klimawandel, Wokeness) des Rechtspopulismus erstickt werden. Spätestens nach dem Solingen-Attentat sprangen Medien und Politik und Medien auf den Migrations-Zug auf, das populistische Agendasetting hatte wieder gewonnen.

 

Rechtspopulistische Demagogie ist Trigger-Politik: Bietet sich nur die geringste Gelegenheit, Migration auf die Agenda zu setzen, greift längst auch Kanzler Scholz zu martialischen Formulierungen. Wenn die AfD mit dem Migrations-Glöckchen klingelt, dann schlägt sofort auch der Bundespräsident an. Ein Land gehorcht dem Populismus. Thomas Zenker betont, dass politisches Handeln durch rechtspopulistische Kampagnen auf gefährliche Weise sabotiert wird. „Wir erleben es leider gerade sehr, sehr häufig, was zu tun wäre und wir tun es nicht.“ Landespolitik und Sachpolitik kommen unter der kommunikativen Herrschaft des Populismus tendenziell überhaupt nicht vor (das Aussterben der Regionalzeitung verstärkt diese Tendenz): „Es ist nicht die erste Wahl, die davon völlig überlagert wurde“, analysiert OB Zenker.

 

Eine CDU-Politikerin gibt die Demokratie auf

 

Durch rechtspopulistische Demokratiezersetzung droht vieles verloren zu gehen. Verloren geht die Orientierung an der Faktenlage: Wir müssen – gerade in den Kommunen – Maßnahmen zum Klimaschutz auf den Weg bringen. Ohne weitere Zuwanderung gehen die Lichter in „Analog-Deutschland“ aus. Die populistische Agenda hält uns – bis auf Weiteres – davon ab, die wichtigen Themen (Standortpolitik, Digitalisierung, Klimaanpassung, Fachkräftemangel...) bei den Hörnern zu packen. 

 

Was mich am meisten schockiert hat: In der Deutschlandfunk-Sendung tritt mit Martina Schweinsburg eine CDU-Kommunalpolitikern aus Thüringen auf, die quasi das „Recht auf fröhliches Desinformiertwerden“ einfordert. Frau Schweinsburg war 30 Jahre lang Landrätin und ist Abgeordnete im Thüringer Landtag, sie spricht aus dieser Funktion heraus! Im Wortlaut sagt sie über die Wähler:innen in Ostdeutschland: „(...) die sind keine Rechtsradikalen, die sind auch keine Abgehängten. Aber sie wollen nicht ständig belehrt werden, was sie zu essen und zu trinken haben, wie Energie genutzt wird, wie Energie hergestellt wird und wie wir sozusagen den Weltfrieden retten wollen.“ Man beachte besonders die offenbar desinformationsgelenkte Konstruktion eines ostdeutschen Opferstatus‘ - wie gesagt, aus dem Mund einer Christdemokratin. 

 

Die Menschen in Thüringen seien nicht sozial abgehängt, was stimmen mag, jedenfalls liegt die Arbeitslosigkeit bei 6,2 Prozent, deutlich geringer als in vielen Gegenden Südeuropas. Auf was Frau Schweinsburg empört Bezug nimmt, ist eine – scheinbar - unerträgliche Bevormundung, die angeblich bei alltäglichen Verrichtungen Essen, Energienutzung etc. stattfinde. Hier reproduziert sie das bekannte Stereotyp woker Bevormundung, die schlechterdings nicht existiert. Das ist das Perfide an rechtspopulistischer Realitätsverzerrung: unliebsame Informationen und Diskurse werden zu Vorschriften („Öko-Diktatur“) umgedeutet und als Bevormundung angeklagt (Opfer-Stereotyp).

 

Am Ende, es fröstelt einen, spricht die langjährige CDU-Landrätin eine deprimierende Wahrheit aus: „Ob östliche Autokratie oder westliche Demokratie spielt für die Leute überhaupt keine Rolle” – sie wollen ganz einfach in Wohlstand und Sicherheit leben, so lässt sich Schweinsburgs Schlussfolgerung deuten. Verloren geht damit auch das Versprechen einer besseren Zukunft.