· 

Wie ein BILD-Reporter einmal eine Clinic über die komplexe Autoindustrie, mutige Investoren und ängstliche deutsche Manager erhielt

Und weiter jammert die deutsche Autoindustrie. Am lautesten BMW-Zipse. Wer wie er Angst vor Veränderung hat, schiebt Innovationen immer weiter auf – und wird schließlich von der Realität überrollt. Ein BILD-Interview enthüllt – natürlich unbeabsichtigt – das Versagen des deutschen Automobil-Managements. Es bleibt die Frage: Warum setzen ausgerechnet die Autobauer die Ideologie der Rechtspopulisten um: die Augen vor der Zukunft zu verschließen? 

 

Ford- Aufsichtsrat Gunnar Herrmann im Gespräch mit der „Auto-Bild“ 

 

Vorweggeschickt, Auto-Journalist:innen werden von der deutschen Automobilindustrie grundsätzlich mit offenen Armen empfangen. Sie sorgen für positive Konzernpresse. Besonders industrienahe Presse wie die „Auto-Bild“ hat daraus ein besonderes Selbstverständnis entwickelt: Man sieht sich als Teil einer (ehemaligen) Schlüsselindustrie, wird von der Industrie gerne so vereinnahmt, was bei vielen dazu führt, dass man bereitwillig die Erfolgsgeschichte der Automobilitätsindustrie „solidarisch“ mitschreibt. Viele Auto-Journalist:innen, wie hier bei dem BILD-Reporter an vielen Stellen spürbar, sehen es als Kern ihres Ethos, den „Autoabsatz, Neuwagenverkäufe“ als oberste Maxime einzufordern. 

 

Die aktuelle Lage: Jetzt bricht dem Volumen- und dem Luxussegment der deutschen Autobauer der chinesische Markt weg. Wer hat es nicht kommen gesehen: In China werden mittlerweile mehr E-Autos als Verbrenner verkauft (+38 % im ersten Halbjahr 2024). Volkswagen (mit den Kooperationen Saic und FAW) büßt in diesem Jahr Milliarden-Umsätze ein, die Zahl der importierten Mercedes-Benz-Limousinen und -SUVs schrumpfte um ein Viertel.   

 

Das Interview mit Gunnar Herrmann halten wir für außerordentlich „trendrelevant“, weil es zeigt, wie kurzfristiges, sogenanntes margengetriebenes Denken, in Deutschland zu fatalen Managementfehlern führte. Die Haltung unseres BILD-Reporters versinnbildlicht die Zukunftsblindheit einer ganzen Branche.  

 

Herrmann: „Ich sehe das als Investitionshemmer, wenn man das Verbrenner-Aus 3035 aufweichen würde. Verschieben hat noch nie geholfen.“ 

 

BILD-Reporter: Aber die Deutschen kaufen weniger, 2022 waren es noch 18 Prozent, jetzt sind es noch 14,5 Prozent. Es geht BERGAB. Wollen Sie keine Autos verkaufen? 

 

Bild-Reporter beweint, dass keine Fiestas mehr gebaut werden

 

Herrmann: „Es gibt auf dem europäischen Automarkt ja eigentlich kein Wachstum mehr. 11-12 Millionen Absatz. Sie können mit Verbrennern weiter Geld verdienen, was Sie mit den E-Autos aufgrund der hohen Investitionen so nicht können. Wir reden aber beim Automarkt über einen Markt, der generell rückläufig ist, egal ob wir über E-Autos oder Verbrenner reden. Die Kostenstruktur auf dem Automarkt gestaltet sich so, dass weniger Leute auf dem Markt zugreifen werden und sich nach Mobilitätsalternativen umschauen.“

 

(BILD-Reporter will den Ford-Vorstand jetzt endlich auf Linie bringen. Es muss doch Geld verdient werden, herrgottnochmal!)

 

BILD: Sie haben den Fiesta vom Markt genommen. (Nein, wirklich!) Einen Megaseller. Aha. E-Autos sind um 7.000- bis 9.000 Euro teurer, die kauft doch niemand.  

 

Herrmann: „Man muss diese Transformation erklärend begleiten. Wir haben mit den E-Autos im oberen Segment angefangen, weil es da leichter ist, erste Margen zu erzielen.“

 

BILD-Reporter: Aber jetzt mal äh Butter bei die Fische. Was fordern Sie als Ford-Boss?

 

(Herrmann kommt wieder auf die Transformationsweigerung von Industrie, FDP, CDU zu sprechen, auch wenn er die Akteure im Einzelnen nicht benennt)

 

Herrmann: „Als Aufsichtsrat kann ich nur sagen: Wenn Ihr die Standorte gefährden wollt, dann ist das der Weg, die Standorte wirklich auf die Rutschbahn zu hieven, indem ich die Entwicklung aussitze.“ 

 

BILD: Aber die Autos kommen doch aus China?

 

Herrmann: „Ja, das ist ja das Problem.“ Herrmann erklärt, dass chinesische Autobauer nach Corona und in der anschließenden Halbleiterkrise liefern konnten, die deutschen nicht. 

 

(05.15 min)

 

„Ford hat zwei Milliarden Euro am deutschen Standort investiert. Und zwar nachhaltig investiert. Und das heißt: Wir steigen aus der Verbrenner-Massenproduktion aus und ‚gehen elektrisch‘.“ Diese Investition würde durch das Aus des Verbrenner-Aus „vaporisiert“, so Herrmann. „Wir könnten eigentlich das Werk aufgeben. Getriebewerke, Motorenwerke, die Zuliefer-Base, die ist ja komplett bewegt worden.“ 

 

Wer Verbrenner präferiert hat keine Strategie oder pfeift aus dem letzten Loch

 

Herrmann weiter: Wenn Sie jetzt sagen, och wir machen mal den Verbrenner weiter, dann kann das nur heißen, dass sie entweder gar keine Strategie haben bzw. aus dem letzten Loch pfeifen und jetzt zum lieben Gott beten, dass sie das alte Zeug weiter machen können. Aber wenn sie an Wohlstand glauben, an Wachstum glauben und an die Zukunft glauben, dann bitte schön lasst die (Ausstiegs-)Ziele wie sie sind.“

 

Herrmann weiter: „Ich fordere einen realistischen Blick auf eine Industrie. Ein Produktcycle-Plan deckt fünf Jahre ab. Das heißt, sie wissen jetzt schon, was in fünf Jahren auf die Straße kommt.“ Wenn man dann noch fünf Jahre weiterschaue, so Herrmann, schreien plötzlich alle wieder: Oh, warum ist das so teuer. Denn dann sind die fossilen Kraftstoffe noch deutlich teurer. (Dann ist auch die Umwelt ein gutes Stück weiter kaputt, der CO2-Preis weiter angestiegen und wir führen die gleiche Diskussion wieder). 

 

Herrmann schließt ab: „Es gehört eine gewisse Ehrlichkeit dazu, diese Transformation jetzt endlich einmal anzugehen. Dafür werden einige bezahlt.“

 

BILD-Reporter (leicht indigniert): Wer?     

 

Herrmann: „Industriebosse werden dafür bezahlt, diese schwierigen Entscheidungen zu treffen... Das alles ist tief verwurzelt in der Finanzwelt. Herrmann erläutert, dass Vorstände nur noch an die kommenden Monate denken. „Investitionen in Rekordzeit amortisieren... das, so Herrmann, hat aber nichts mit nachhaltigem Investieren zu tun.“ Herrmann spannt einen weiteren Bogen: „Das betrifft nicht nur das Auto. Wir schreien, dass wir kein Wachstum mehr haben. Wir haben Forschung. Aber bauen wir ein Wirtschaftssystem. Nein, wir drehen uns eiskalt um und sagen: Lass uns das mal von gestern weitermachen.“

 

(08.34 min) 

 

BILD-Reporter: Aber wir hatten gestern eins und wir haben kein neues. Wir hatten DEN Verbrenner. Das ist das Kernstück der deutschen Industrie. (emotional, gestikulierend) Das geht flöten. Und was kommt?

 

(Wer erklärt BILD, wie lange es dauerte, bis Verbrenner marktreif waren?)

 

Herrmann: „Ja, das geht natürlich flöten, weil sie die Kostenstruktur, die Klimaanforderungen mit der alten Technik nicht halten können.“

 

Mobilitätswende ist kompliziert – zu kompliziert für Auto-Manager

 

Anschließend erläutert Herrmann einen wichtigen Punkt. Die Erneuerbaren haben jetzt schon, was Preis und Volumen angeht, die Fossilen überholt. Was wir nicht haben, sind die Netztinfrastrukturen. Und auch hier, so Herrmann, fangen wir wieder mit fossilem Protektionismus an und blockieren den Ausbau.

 

(BILD-Reporter ändert sein Vorgehen. Mist, er kriegt Herrmann nicht dazu, die Energiewende in Zweifel zu ziehen. Jetzt aber Butter bei die Fische.) 

 

BILD-Reporter: Wo rein muss investiert werden, ganz klar?

 

Herrmann erwähnt den mangelnden Netzausbau, das energietechnische Nord-Süd-Gefälle. 

Und er kommt auf die ursprüngliche BILD-Frage zurück: Der Unterhalt eines E-Autos, wenn unter anderem der Netzausbau systematisch weiterverfolgt werde, „wird signifikant günstiger“. 

 

(BILD-Reporter hat offenbar kein Vorstellungsvermögen dafür, dass Herrmann diese Themen seit Jahren und mit hunderten Experten bis auf des Messers Schneide diskutiert hat.)

 

BILD-Reporter: E-Auto kann sich keiner leisten, will keiner, keine Stromtankstellen in Mietshäuser...und überhaupt: Wo sollen die Deutschen arbeiten, womit künftig ihr Geld verdienen? Industriestandort Deutschland... Deindustrialisierung...Untergang des Abendlandes

 

Herrmann: „Einen Teil der Mitarbeiter können sie in der Transformation mitnehmen, den anderen Teil müssen sie in neue Technologien packen.“ (Ford tut das seit 2018: Mitarbeiter werden in neue Technologien umgeschult) 

 

Entscheidend ist der Faktor Zeit.

 

Herrmann: „Wir haben 2018 damit angefangen. Für die Transformation brauchen sie Zeit. Wenn sie alles aufschieben, dann werden sie überrollt, dann haben sie Massenentlassungen. Die Massenentlassungen überrollen sie auch, „wenn sie politisch alle fünf Minuten die Richtung ändern, und irgendwann sagt der Kunde, warum soll ich mir so ein Ding kaufen...“ 

 

Letzter Versuch des BILD-Reporters (wieder emotional, wild gestikulierend), es geht um den berühmten Landbewohner, der mit E-Autos nur stranden kann.

 

Herrmann nennt konkrete Zahlen: 2019, der deutsche Autofahrer hat im ländlichen Bereich durchschnittlich 35 Kilometer bis zu nächsten Tankstelle, der muss bis zu 70 Kilometer hin und her fahren, um mit dem Verbrennungsmotor weiterzukommen.

 

(Im Verlauf des Gesprächs erzählt der BILD-Reporter, dass er mit seinem „Diesel“ und einem Pferdeanhänger das Pferd seiner Frau zu Reitturnieren bewegt. Es könnte sein, dass er vor allem das mit dem „Leben im ländlichen Raum“ verbindet. Mit der Lebensrealität im ländlichen Raum hat das nicht unbedingt zu tun.) 

 

China und USA: Neue Städte, neue Werke für die mobile Zukunft

 

BILD-Reporter (siegessicher): Der tankt unterwegs (kann der E-Autofahrer aber auch).

 

Herrmann fügt hinzu: Wo ist denn die beste Verteilung mit Stromtankstellen, inklusive privater Ladeanschlüssen? In den ländlichen Gebieten. 

 

(13.27 min) 

 

Dann kommt Herrmann zu einem entscheidenden Punkt: Das ist eigentlich mein Punkt. Es gibt viele Beispiele, wo wir einmal wirtschaftlich führend waren (E-Automobilität, Ladestationen, Solar), Dann waren wir auf einmal unsicher. Weil. Wenn sie was Neues implementieren, dann funktioniert das nicht von Tag eins. Dass sie da in Beifallsstürme ausbrechen und sagen: eine super Idee, sondern das muss wachsen. Die Geduld haben wir teilweise nicht. Diese Geduld haben aber andere aufgebracht. Und das sind heute leider die Gewinner. Und die sind im Ausland.

 

BILD-Reporter (sicher, gelernt ist gelernt): China! 

 

Herrmann: Das ist China. Das sind aber auch die USA. Also, ich kann ihnen sagen, wir stampfen in Kenntucky gerade ein komplettes Werk inklusive Batteriefabrik aus dem Boden. Da wird gerade eine neue Stadt gebaut. Das sind Mega-Invests. Da ist der Glaube an die Zukunft. Und da ist ein echtes Zeichen von, wir verändern die Zukunft jetzt, wir gehen in die richtige Richtung, da finde ich es grob fahrlässig, wenn diese Dauerbremser aus den Ecken kommen und brüllen: Ah, aber es hat doch gestern funktioniert, können wir das nicht noch ein bisschen halten?

 

(Heureka, nicht nur das autoritäre China kann Pläne machen. Auch in den USA entsteht neues Zukunftsvertrauen, nicht nur durch Kamala Harris, sondern dadurch, dass die automobile Zukunft komplett neu geplant wird.)

 

BILD-Reporter (hat offenbar aufgegeben, nickt nur noch.)

 

Herrmann ergänzt, das billige Gas habe uns erfolgstrunken gemacht: „Jahrzehntelang haben wir das Gas geschenkt bekommen. Da hat sich nie jemand richtig mit befasst, aber alle haben sich gefreut. (...) Gucken sie sich Halbleiterentwicklungen in Deutschland an.  Wir hatten einmal eine Produktion von zwölf Prozent im Land. Haben wir aufgegeben. Ist ja so billig an allen anderen Ecken.“ 

 

Herrmann bemerkt, dass er die Diskussion über systemwichtigen Technologien und Energien schon vor Jahren (offenbar vergeblich) mit dem damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier geführt habe.       

 

Fazit 

Der Gesprächsauszug erklärt sehr anschaulich das historische Versagen des Managements der deutschen Automobilindustrie angesichts der seit Jahrzehnten bekannten Transformationsanforderungen. Die Aussagen von Herrmann beleuchten zudem die Fehlentscheidungen des christdemokratischen Wirtschaftsminister Altmaier seit 2018. Was noch mehr Kopfschütteln hervorruft: Die von Herrmann eindringlich geschilderter „Dauerbremserei aus allen Ecken“ gehorcht dem Angsthasen-Narrativ der Populisten: Lasst uns nochmal versuchen, was früher auch geklappt hat.