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Trendkolumne: AyaCatlinKamala: Der Wertewandel klopft an unsere Tür, die Welt verändert sich

Politik auf Speed (wann war das Trump-Attentat, vor zwei Wochen oder vor zwei Monaten?). Plötzlich steht mit Kamala Harris die erste farbige Frau bereit, um das US-Präsidentenamt zu übernehmen (und das Land vor dem dunklen Reich des Männlichkeitswahns und der Selbstbereicherung zu bewahren). Kurz zuvor bei der EM in Deutschland: Ein Bundestrainer („Staatsmann Nagelsmann“), der mit Tränen in den Augen gegen die Polarisierung in der Gesellschaft kämpft. Zu Beginn der Olympischen Spiele in Paris werden wir Zeugen einer glamourösen Show - mit subtiler Botschaft. 

 

Über das Thema Vielfalt, Rechte der Frauen, Rechte von Minderheiten könnte in den USA die Wahl entschieden werden. Wertewandelkonfusionen (siehe 6.) prägen Sport und Politik. 

 

Die Eröffnungsshow in Paris war lässig und pompös zugleich. Schön zu sehen, wie eine Stadt von der olympischen Idee in Besitz genommen wird. Und das nicht nur als abstrakte Idee, sondern von den Menschen selbst im strömenden Regen einer wunderbaren Metropole. 

 

Mit Sicherheit die ergreifendste Story während der Eröffnungsfeier lieferte der Auftritt von Aya Nakamura, eine Rapperin aus der Banlieue, 29 Jahre alt, Französin mit malischen Wurzeln, die meistgehörte frankofone Sängerin der Welt. Ein subtiles politisches Statement. Noch vor Wochen kritisierte die rechtsextreme Marine Le Pen höchstpersönlich gegen den Auftritt Nakamuras und wollte verhindern, dass sie ein Chanson von Edit Piaf singt. Wäre es politisch nicht so brisant, man könnte darüber lachen. 

 

Die Regisseure in Paris inszenierten den „Clash of cultures“ mit Mut und Klugheit. Es war kein Zusammenstoß, sondern eine Umarmung. Auf dem Pont des Arts, der Holzbrücke zwischen dem Louvre und der Académie Française, dem Hochamt der französischen Sprache, kam es zur Begegnung zwischen Nakamura und der Musikkapelle der Garde Républicaine, einer französischen Institution, die die Aufgabe hat, den Staatspräsidenten zu schützen. Die junge Künstlerin sang nichts von Édith Piaf, sondern ein Chanson des legendären französischen Schauspielers und Sängers Charles Aznavour, selbst aus Armenien stammend. Nakamura sampelte eigenes mit Aznavour, dessen „For Me Formidable“ mit ihrem Song „Pookie“. Und die 60 Musiker der republikanischen Garde begleiteten sie dazu, Trommler und Bläser. Am Ende tanzten die Gardisten um sie herum, und Nakamura salutierte militärisch.

 

Keine Propaganda, keine Parteilichkeit, sondern der Vorschein eines Globalkolorits der Zukunft, der Diversität zulässt und begrüßt.

 

Sind wir an einem Punkt, an dem ein Wertewandel stattfindet und eine epochale Werteverschiebung unausweichlich wird? Es wäre schön, dann wäre der Aufstand der Rechtspopulisten das letzte Zucken einer untergehenden Welt der Kolonisatoren und Patriarchen.

 

Ein Wertewandel wird von moralisch entschlossen Akteuren getragen


Erleben wir gerade die Stunde der Frauen und einer freiheitlichen Kultur der Vielfalt? Wie oft haben wir in den vergangenen Jahren von „Female empowerment“ gesprochen, meistens blieb es jedoch bei Ankündigungen und wohlgemeinten Worten. 

 

Das liegt daran, dass Wertewandelprozesse sehr lange dauern können. Wertewandelprozesse sind schwer zu greifen. Sie bereiten sich lange vor, um plötzlich da zu sein. Ein gutes Beispiel dafür ist die Abschaffung der Sklaverei.

 

Bereits im 12. Jahrhundert wurde die Sklaverei in Frankreich und Großbritannien verboten (an ihre Stelle trat die Leibeigenschaft). Die Sklaverei existierte weiter. Im frühen 18. Jahrhundert setzten sich mutige Persönlichkeiten wie Benjamin Lay, Anthony Benezet oder Benjamin Rush (einer der Gründerväter der USA) für ihre Abschaffung ein. Sie alle werden als moralisch sensible und entschlossen handelnde Personen beschrieben. Lay, so charakterisiert ihn der Philosoph William MacAskill, war ein glühender Weltverbesserer und Gegner der Todesstrafe. Lay ernährte sich, wie viele frühe Gegner der Sklaverei, vegetarisch und engagierte sich als Kritiker der Konsumgesellschaft. 

 

1794 startete die französische Regierung den nächsten Versuch, die Sklaverei zu ächten, Napoleon hob das Verbot acht Jahre später wieder auf. Ende des 18. Jahrhunderts distanzierten sich die Quäker, die sich an Lay orientierten, von der Sklavenhaltung. Der Philosoph der Aufklärung Immanuel Kant distanzierte sich hingegen nie davon. China beendet erst 1909 die Sklavenhaltung. Die Nazis (elf Millionen Zwangsarbeiter) und Stalinisten (sechs Millionen Zwangsarbeiter) betrieben weiterhin Arbeitslager. Mauretanien stellte erst 2007 die Haltung von Sklaven unter Strafe. 

 

Was ich damit sagen möchte: Wichtige Wertewandelprozesse können mitunter Jahrhunderte dauern und sind von Zufällen und Katastrophen in der Geschichte abhängig. Sie wurden aber auch immer von herausragenden Persönlichkeiten entscheidend vorangetrieben, die den Besitz von Menschen als moralisch unerträglich und unzeitgemäß empfanden. Sie erzeugten eine Zeitstimmung, setzten einen Trend, der auch andere Menschen inspirierte. 

 

Sport und Populärkultur als Beschleuniger des Wandels


Zurück zum Sport. Populärkultur ist bei der Entstehung von Wertewandelprozessen ein hilfreiches Vehikel und ein guter Indikator für erste schwache Signale des Wandels. Plötzlich spielen Frauen vor 60.000 Zuschauern Fußball. Caitlin Clark, ein junger weiblicher College-Basketball-Star (3.951 Punkte in vier Jahren), lockte bei den US-College-Meisterschaften erstmals mehr Menschen vor den Fernseher (18,9 Millionen) als ihre männlichen Kollegen (14,8 Millionen).

 

Die Veränderung beginnt nicht von heute auf morgen. Caitlin Clark wird mit ihrem ersten Profivertrag – verglichen mit den Männern – bescheidene 76.535 US-Dollar verdienen. Doch ihre außergewöhnliche sportliche Leistung, so prognostiziert es der „Economist“, wird dazu führen, dass Frauen im Sport endlich ernstgenommen werden.

 

In der Populärkultur, auch im Sport, steckt – abseits von Sportswashing - ein emanzipativer Funke: Caitlin Clark bringt Frauensport auf die internationalen Titelseiten.

 

Was das Beispiel der Sklaverei lehrt: Es lohnt sich, hohe moralische Ziele zu stecken. Ebenso wichtig wie lokaler Aktivismus sind moralische Visionen, um andere Menschen für Veränderungen zu begeistern. Populärkultur ist dabei ein formidabler Treiber, weil sie Menschen für Ideen einer besseren Welt „anzünden“ kann - wie wir gerade in Paris erleben konnten.