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7 Schritte für ein besseres Leben (trotz allem)

Ohne technologische Innovationen wird unser Planet unbewohnbar. Doch auch mit unseren Lebensformen können wir erheblich zur Einhegung des Klimawandels beitragen. Verzichts- und Buß-Ritualen helfen dabei wenig. Eine kurze Anleitung für eine postapokalyptische Lebenskunst. 

 

Verzichten? Ganz schlecht! So ist immer wieder zu hören. „Damit kannst du heutzutage niemanden mehr hinter dem Ofen seines Vollkasko-Wohlstands hervorlocken. Schauen wir als Beweis nur auf die verunglückte Wärmewende. Der Populismus hat uns im Griff. „Transformation“ ist eine verbale No-Go-Area. Veränderung wird als Zumutung empfunden. Und dann auch noch verzichten? 

 

Was aber ist, wenn sich durch eine „verantwortungsvolle Ethik und Ästhetik des Genug“ unsere Lebensqualität deutlich steigern ließe? Und wer möchte schon als Mallrat oder Fashion Victim („Shop till you drop“) enden? 

 

In den vergangenen drei Jahrzehnten sind wir (zumindest diejenigen, die der gesicherten bis gehobenen Mittelschicht angehören) zu Konsumenten sozialisiert worden. Verantwortlich dafür sind Megatrends wie Individualisierung, der demographische Wandel und der Strukturwandel in der Arbeitswelt. 

 

Eine „Ethik und Ästhetik des Genug“ bedeutet nicht Verzicht, Askese und „Schluss mit lustig“, sondern könnte eine für viele spürbare Erhöhung der Lebensqualität zur Folge haben. Gesündere Ernährung (weniger Fleisch, mehr von „nebenan“), weniger Bullshit-Jobs, mehr Beziehungs-Wohlstand, mehr Gemeinsinn, weniger Konsumfixierung, weniger Haben, mehr Sein. In der Mobilität würden wir weniger Autos und mehr ÖPNV nutzen, wir machen weniger Flugreisen und setzen uns häufiger auf das Fahrrad...mit einem Wort: ein gutes Leben. Und bei dieser Ethik des Genug steht nicht das eigene Seelenheil im Vordergrund, vielmehr bringen wir damit auch die sozial-ökologische Transformation ein entscheidendes Stück voran.

 

Nur wenn wir die Infrastrukturen des Lebens neu organisieren, kommen wir weiter

 

Für uns als Trend- und Zukunftsforscher ist es unbestritten, dass die Energiewende und ein internationaler CO2-Preis Schlüsselkonzepte auf dem Weg in die postfossile Gesellschaft sind. Doch auch Suffizienzmaßnahmen (also Aspekte unseres Lebensstils), das haben Forscher errechnet, können einen erheblichen Beitrag auf diesem Weg leisten. Eine Modellsimulation für Europa zeigt, dass bis 2050 eine Verringerung des Endenergieverbrauchs um 55 Prozent gegenüber 2019 möglich ist. Dabei könnte etwa die Hälfte (!) dieser Minderung durch die Energiewende und die andere durch Suffizienzmaßnahmen erzielt werden. 

 

Sie merken, mit der Postwachstums-Vision, wie sie Nico Paech  und Harald Welzer vorschwebt, hat das wenig zu tun. Sie plädieren für eine Elite-Kultur des Verzichtens und leugnen geradezu die Jahrhundertleistung der erneuerbaren Energien. 

 

Ganz anders in unserem Ansatz. Mit der Ethik des Genug, unterwegs zu einer nachhaltigen Lebenskunst, verlieren wir nichts Wesentliches, ermöglichen mit einem ressourcenbewussten und selbstverantwortlichen Lebensstil aber ein besseres Leben für viele.

 

Wir sind nicht naiv, wir glauben nicht an den magischen Schalter, der ein neues Mindset anknippst. Uns geht es um die Bereitstellung neuer mentaler, gesellschaftlicher und ökonomischer Infrastrukturen, mit deren Hilfe nachhaltige Lebensstile angeregt und eine höhere Lebensqualität erreicht werden können. 

 

Was müssen wir dafür tun? An 7 Innovationen sollten wir arbeiten:

 

1. Die Aufgabenstellung: Das Dispositiv der Konsumgesellschaft umprogrammieren: Suffizienz wird oft als rein individuelle Lebensstilfrage diskutiert. Das ist der Ursprung für ein fatales Missverständnis, denn die Transformation individueller Konsummuster hin zu nachhaltigen Lebensstilen kann nur im Zusammenhang mit politischen Rahmenbedingungen und materiellen Infrastrukturen bewerkstelligt werden. Und nur als sozial-technologische Anordnung (die Franzosen sprechen hier gerne von „Dispositiven“) kann der Wandel konzipiert werden. Dispositive sind Netzwerke aus materiellen (Infrastrukturen, Märkte, Währungen) und intellektuellen Gütern (Mentalitäten, Diskurse, Wissen, Lernprozesse), die als ein komplexes Ensemble Machtansprüche ausüben, Trends setzen und Wahrheitsansprüche definieren. Es geht also darum, das Dispositiv der Konsumgesellschaft (Fossile Energieträger, globale Nahrungsmittelindustrie, Massenkonsum, Delegitimierung der Daseinsvorsorge) umzuprogrammieren.

 

2. Dazu gehört eine neue Datenbasis und Berechnungsgrundlage für ein gutes Leben im 21. Jahrhundert: Nach wie wir gilt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als wichtigster Indikator, zumindest für das Wohlergehen einer Volkswirtschaft. Weniger eindimensionale Wohlfahrts-Indizes wie beispielsweise der Nationale Wohlfahrt Index, der Sustainable Development Index, der Better Life Index oder der Genuine Progress Indicator gestatten eine Perspektivenverschiebung dafür, was in den Gesellschaften der Zukunft wirklich wichtig ist. 

 

3. Vielleicht die wichtigste Zukunfts-Ressource: Bildung, Lernprozesse, „Selbstsorge“: Michel Foucaults Überlegungen zu einer zukünftigen Lebenskunst und seine „Ästhetik der Existenz“ liefern wichtige Hinweise. Eben nicht „Sorge Dich nicht, lebe!“, wie es der Seelenkitsch eines Dale Carnegie formuliert, da geht es nur ums Private. Bei Foucault steht das Individuum als Kraftzentrum des Politischen im Mittelpunkt. Foucaults Begriffe mögen mittlerweile etwas bizarr anmuten. Aber es geht darum, „auf welche Weise die Bürger sich selbst regieren und disziplinieren müssen, damit ein bestimmtes Staatswesen überhaupt funktionieren kann.“ Angelehnt an Platos „Alkibiades“-Dialog fordert Foucault, dass die Bürger:innen zunächst den Umgang mit sich selbst lernen müssen, bevor sie das „Staatswesen“ verändern können. Wer in Foucault Verständnis „Selbstsorge“ betreibt, sucht in sich keine zeitlosen Wahrheiten. Selbstsorge heißt, dass das Ich sich entwirft und verändert, Erfahrungen macht und lernt - und auf diese Weise sich und die Welt (um-)zugestalten beginnt. Selbstsorge, so Foucault, heißt immer auch Unruhe und Zweifel an sich und am Bestehenden. Foucaults „Praktik des Selbst“ ist Engagement - das Gegenteil von Introspektion, Identität oder Selbstvervollkommnung. Doch nur so ist es der oder dem einzelnen möglich, zum Subjekt der Veränderung zu werden – aus der Selbst-sorge heraus zum Subjekt des Engagements und der gesellschaftlichen Erneuerung. 

 

4. Ein runderneuerter Fortschrittsbegriff: Ohne Fortschritt keine Zukunft, doch Fortschritt gelingt nur als kollektiv anerkannte Praxis. Soll sich bis in die Lebensstile der Menschen hinein etwas ändern, kann dies nicht ohne die aktive Teilhabe der Betroffenen geschehen. Es sollte niemanden überraschen, dass eine gesellschaftliche Transformation, Prozesse wie die Energie-, Mobilität- und Wärmewende laut Rainer Forst tatsächlich nur dann zu nachhaltigen Fortschritten führen, wenn sie nicht oktroyiert beziehungsweise topdown veranlasst werden. Fortschritt basiert in einer demokratischen Gesellschaft grundsätzlich „auf der Steigerung des individuellen und kollektiven Handlungsvermögens“ (Rainer Forst: „Normativität und Macht“, S. 107). Fortschritt sollte immer von den Betroffenen in der Gesellschaft in Gang gesetzt oder zumindest evaluiert werden. Es gilt: „Technologischer Fortschritt muss gesellschaftlich akzeptierter Fortschritt sein, und gesellschaftlich akzeptierter Fortschritt ist ein solcher, der von den Betroffenen selbst bestimmt wird.“ (ebd.)

 

5. Eine weitere Schlüsselressource ist ein funktionierender moralischer Kompass. Nennen wir es "gelebten Konsequentialismus": Die Grundlage hierfür wurde im 19. Jahrhundert durch den Utilitarismus eines John Stuart Mill gelegt. Demzufolge ist jenes Handeln moralisch geboten, welches den größtmöglichen Nutzen für die größte Zahl aller Beteiligten hervorbringt. Im Kontext des Klimaschutzes bedeutet das, dass auch die in geografische Ferne und Zukunft wirkenden Schädigungen wie die des Klimas und der Ökosysteme zu berücksichtigen sind. Auf den zeitlichen Aspekt (Recht auf Klimaschutz für kommende Generationen) weist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2021 hin. 

 

6. Es mag die eine oder den anderen verwundern, aber ohne Wachstum keine Nachhaltigkeit: Ohne – vorausschauend erzeugtes – Wachstum drohen wir mittelfristig unsere Innovationsfähigkeit einzubüßen. Die Innovationssprünge der vergangenen Dekaden haben, bis auf wenige Ausnahmen, auf dem Gebiet des Internets und Kommunikation stattgefunden. Die herausragende Ausnahme sind die Erneuerbaren Energien, durch die allein es möglich wird, aus der biophysikalischen Steinzeit in die Ära der Dekarbonisierung einzubiegen. Sinkt unsere Innovationsfähigkeit weiter ab, wie in den vergangenen Jahrzehnten zu beobachten, könnten Stagnationskrisen (beschleunigt durch dramatischen Geburtenruckgang und globalen Fachkräftemangel) das Überleben der Menschheit gefährden. Zu bedenken ist hierbei vor allem der Sachverhalt, dass Phasen des innovativen Wachstums in der Vergangenheit in der Regel auch zu moralischen Fortschritten geführt haben. 

 

7. Wo treffen wir uns? Die künftigen Epizentren für eine nachhaltige Ethik/Ästhetik der Existenz - den vorpolitischen Raum neu organisieren: In Ostdeutschland ist die AfD so erfolgreich, weil sie den sogenannten vorpolitischen Raum (Betriebe, Vereine, Nachbarschaft) nutzt. Im Osten ist diese Halböffentlichkeit deswegen so wichtig, weil der politische Raum der Parteien lange Zeit nicht existierte und geringere Geltung hat. In vorpolitischen Räumen, durch Bürgerräte, könnten gesellschaftliche Konflikte und Normveränderungen (nicht nur im Osten) möglicherweise besser absorbiert werden und der Radikalisierung der Bevölkerung entgegenwirken. Damit wird die Funktion von politischen Parteien in der politischen Willensbildung nicht aufgegeben. Vielmehr könnte über "beglückte Bürgerräte" eine Re-institutionalisierung (Anton Jäger: Hyperpolitik) von Gemeinsinn in Angriff genommen werden, die den Wandel hin zu nachhaltiger Lebensqualität vorantreibt.