Autonomes Fahren innerhalb des ÖPNV könnte der letzte Mosaikstein für die dekarbonisierte Tür-zu-Tür-Mobilität sein. Doch die Ängste gegenüber einer angeblich unkontrollierbaren Technologie und Lobbyinteressen blockieren den Durchbruch zu einer Neuordnung von Lebensraum und Mobilität.
Der Rollout ist ein steiniger Weg... Wie war das noch mit dem autonomen Fahren? Waymo, eine Tochtergesellschaft von Alphabet, ist seit einiger Zeit mit seinen autonomen Fahrzeugen in San Francisco und Phoenix tätig und expandiert gerade nach Austin. Baidu, ein chinesischer Suchmaschinenbetreiber, möchte mit seinen autonomen Fahrzeugen bis 2025 in 65 chinesischen Städten am Start sein. Ein aktuelles Problem für die weitere Ausbreitung autonomer Mobilität in den USA besteht darin, dass die Fahrzeuge von Waymo nicht zum Fahren auf Autobahnen zugelassen sind. Das weit grundsätzlichere Problem der fahrerlosen Mobilität besteht aber wohl darin, dass es wirtschaftliche Interessen gibt, an der Pkw-Welt festzuhalten und alternative Formen der Mobilität zu behindern.
Technologie ist nicht mehr die größte Hürde... Selbstfahrende Mobilität ist mittlerweile eine Frage des Geschäftsmodells und der Regulierung – aber nicht mehr der technologischen Ermöglichung. Regulierung heißt auch, dass die Stakeholder der klassischen Pkw-Mobilität – wir haben es bereits bei der mühsamen E-Auto-Transformation erlebt – mehr oder weniger alles unternehmen werden, um das autonome Fahren zu blockieren. Waymos Navigationssoftware ist noch nicht grenzenlos einsetzbar. Sie ist auf detaillierte lokale Karten angewiesen , um zu funktionieren. Zurzeit könnte Waymo dieses Modell nicht ohne einen erheblichen Kapitalaufwand in eine beliebige Region transferieren. Trotzdem läuft der Fahrbetrieb ohne Zwischenfälle.
Autonomes Fahren könnte dazu beitragen, die Innenstädte vom Autoverkehr zu befreien... Wie aktuell in Erlangen, wird in vielen Städten Europas an der Idee der autofreien Stadt gearbeitet. Ziel des dreijährigen Pilotprojekts in Erlangen ist es, das Busfahren in der Innenstadt so einfach und bequem wie möglich zu machen, die Attraktivität der Innenstadt zu steigern und den Handel zu beleben. Wer mit dem Auto ins Erlanger Stadtzentrum kommt, kann nun am Rand der Innenstadt auf dem Großparkplatz und in den Parkhäusern parken und bequem und ohne Ticketkauf mit dem Bus weiterfahren. Die Mindereinnahmen von rund 300.000 Euro pro Jahr, die durch die Kostenfreiheit der Innenstadtzone entstehen, gleicht die Stadt aus.
Deutschland macht international einen ersten Schritt mit einem Gesetz... In Deutschland wurden, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, bereits 2021 die rechtlichen Grundlagen für das autonome Fahren geschaffen. Entschlossenheit für eine Zukunftstechnologie sieht aber anders aus. Nach wie vor ist unklar, wie die beim Betrieb anfallenden Daten genutzt werden sollen. Außerdem ist noch immer die Haftungsfrage bei Unfällen ungeklärt. Beim vollautonomen Fahren, so sehen es Experten, müssten sich die Haftungsregeln in Richtung der Hersteller verschieben. Unverständlich bleibt darüber hinaus, warum bewährte Organisationen wie TÜV und Dekra im Zulassungsverfahren bislang noch nicht einbezogen wurden.
Autonomes Fahren hängt das „flache Land“ nicht ab, sondern schließt es an... Fahrerlose Fahrzeuge könnten in städtischen Randbereichen oder im ländlichen Raum, wo sich der ÖPNV auf Grund geringer Fahrgastzahlen häufig nicht rentabel betreiben lässt, neue Möglichkeiten eröffnen. Den ÖPNV würde das mittelfristig stark verbessern, davon sind Politikerinnen und Politiker aller demokratischen Parteien überzeugt. Aber fragen Sie einmal eine Führungskraft im ÖPNV, ob der öffentliche Verkehr darauf vorbereitet ist, in einigen Jahren den Großteil unserer Mobilität zu organisieren. Hier kommt die nächste mentale Barriere in den Blick: Der ÖPNV hat gelernt, maximal zehn Prozent des Verkehrsaufkommens zu managen; er wurde als „Mobilitätsresteverwerter“ entwickelt, für diejenigen, die sich Autos nicht leisten können.
Die kollektivpsychologische Hürde einer vorgeblich unkontrollierbaren Technologie... Dass von Menschen gesteuerte Autos jeden Tag Menschen töten, wird von unserer Gesellschaft schicksalsergeben hingenommen (2.830 Verkehrstote in Deutschland im Jahr 2023). Aber jeder, der auf dem Gebiet der selbstfahrenden Fahrzeuge tätig ist, weiß, dass ein einziger Todesfall eine massive Gegenreaktion auslösen würde. Die Zahlen bestätigen dagegen immer wieder, dass autonomes Fahren signifikant Unfalltote verhindern würde. Aktuellen Untersuchungen zufolge geraten menschliche Fahrer drei- bis sechsmal häufiger in Unfälle als Waymo-Fahrzeuge. Auch die deutsche Politik sieht bei der Verkehrssicherheit parteiübergreifend große Vorteile beim autonomen Fahren.
Mentale Blockade? Gesellschaftliche Stagnation? Nach wie vor verweigert die Gesellschaft den Abschied vom Auto... In den USA werden gerne lokale Gesetzesvorhaben angestrebt, um die angeblich unkontrollierbare fahrerlose Mobilität zu verhindern. Im unerbittlichen US-Kulturkampf ist auch das autonome Fahren ein hochemotionales Thema, das Einschreiten lokaler Behörden hat sich dort als gebräuchliches Verfahren etabliert, um auch auf anderen Gebieten Modernisierungsprozesse zu blockieren.
Autonome Mobilität könnte den Mobilitätssektor maßgeblich dekarbonisieren und der Überflutung der Straßen mit Pkws entgegenwirken... Mittlerweile beschäftigen sich unzählige Projekte mit fahrerloser Mobilität. Für den Einsatz auf der ersten und letzten Meile, also der Strecke zwischen dem Bahnhof und dem Arbeitsplatz, hat beispielsweise das Startup Inyo aus der Nähe von München ein autonomes Leichtfahrzeug entwickelt, das Inyo Cab. Das Inyo Cab ist kleiner als die Shuttles der Konkurrenz, nur vier Personen finden darin Platz. So sollen die Cabs noch flexibler und effizienter einsetzbar sein als die größeren Modelle. Von Tür zu Tür mobil zu sein, ohne ein eigenes Fahrzeug finanzieren zu müssen – selbstfahrende Autos/Busse würden dies möglich machen.
Fazit
Der Kampf um das autonome Fahren ist ein Kampf darum, wie wir künftig den umbauten Raum nutzen und gestalten wollen. Das Ende des Besitzes individueller Mobilität (Pkw) würde bedeuten, dass unsere Städte ein völlig neues Gesicht bekommen – ohne Parkplätze und Parkhäuser, ohne achtspurige Straßen. Es gäbe keine Staus mehr. Städtischer Raum könnte von Menschen als Lebensraum zurückerobert werden. Dort, wo jetzt Parkhäuser stehen, entstünden hochwertiger Wohnraum und neourbane Lebensqualität. Autonome Mobilität wäre ein entscheidender Schritt in Richtung einer dekarbonisierten Stadt, in der es gelingt, die Anforderungen des Klimawandels im Dienst der Wohlfahrt ihrer Bürger zu bewältigen.