Die schwächelnden Klimaambitionen der EU und der USA, zwei der drei größten Volkswirtschaften der Welt, steigern die Unsicherheit unter Verbrauchern, Industrie und Investoren. Das Momentum eines globalen Klimaschutz-Aufbruchs droht zu kippen. Getrieben wird diese Dynamik von zwei politischen Trends, die sich gegenseitig verstärken:
1. Sachferne Kritik der Klimamaßnahmen mit dem Ziel der Verunsicherung von Bürger:innen, Investoren und Unternehmen: Der Rechtspopulismus auf beiden Seiten des Atlantiks hat die Herrschaft über den Klimadiskurs übernommen. Die Wahlen in den USA und der EU könnten Rechte und Faschisten weiter stärken. Ihre Strategien verfangen: Kritik der Klimaschutzmaßnahmen im Schulterschluss mit populistischen Medien, was zu Verunsicherung bei den Konsument:innen und Investoren geführt hat.
2. Zeitspiel: Verzögerung der Klimaschutzmaßnahmen: Als Reaktion auf die allgemeine Verunsicherung rudern die Regierungsparteien klimapolitisch zurück. In Deutschland geschieht das bizarrerweise auch noch dadurch, dass eine „regierungsinterne Opposition“, die FDP nämlich, Regierungsverantwortung trägt und gleichzeitig die Maßnahmen hintertreibt und zusätzlich zur Verunsicherung beiträgt. In Frankreich und Großbritannien wird das Wackeln und Zögern in der Klimapolitik mit Haushaltslücken und unangemessenen Zumutungen für die Wählerinnen und Wähler begründet.
Das Verfehlen der Klimaziele hat katastrophale Folgen... Wissenschaftler warnen seit Jahren davor, dass es um einen lebenswerten Planeten geht. Die Erde hat sich im Vergleich zur vorindustriellen Ära bereits um 1,2 °C erwärmt, aktuell sind wir so unterwegs, dass bis zum Ende des Jahrhunderts ein Anstieg von etwa 2,5 °C erreicht wird, wenn die Umstellung auf saubere Energien nicht beschleunigt wird.
Der volkswirtschaftliche Schaden der Verzögerungspolitik... Bislang lässt sich der volkswirtschaftliche Schaden der Verzögerungspolitik noch nicht beziffern, doch er wird erheblich sein. Bekannt ist dagegen, dass der Klimawandel schon jetzt enormen finanzielle Schäden erzeugt und jedes Zehntel Grad an Erwärmung in den kommenden Jahren enorme Schäden für Wohlstand und Wirtschaft zur Folge hat. Der wirtschaftliche Schaden und unabsehbare ökologische Zerstörung werden von der klimapolitischen Verzögerungstaktik der Populisten (und den „regierenden Oppositionellen“ der FDP) in Kauf genommen, weil es den Machtinteressen dient.
Aufschieben der Klimamaßnamen in UK, USA und Frankreich... Im Einzelnen sieht das so aus: Frankreich hat seinen Ausstieg aus der Kohle um drei Jahre auf 2027 verschoben. Mittlerweile hat auch Großbritannien seine Verbote für den Kauf von neuen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor und von Heizungen mit fossilen Brennstoffen relativiert. Die regierenden Tories verschoben auch den Start des „Clean Heat Market Mechanism“, der Anreize für den Verkauf von Wärmepumpen schafft. Wie der "Bloomberg G-20 Zero-Carbon Policy Scoreboard" zeigt, fielen in diesem Jahr auch die USA klimapolitisch zurück, trotz der Dynamik, die durch den wegweisenden „Inflation Reduction Act“ (IRA) geschaffen wurde. In den USA wurden Verzögerungen bei Investitionsanreizen aus dem IRA eingebaut, was dazu führen wird, dass Entwickler von Dekarbonisierungsprojekten ihre endgültigen Investitionsentscheidungen auf Eis legen werden. Nach den Bauernprotesten zu Beginn des Jahres hat die EU in der Landwirtschaft aus Anreizen mit Zielstellungen (weniger Landnutzung, mehr Bio) freiwillige Selbstverpflichtungen gemacht.
Klimaschutz in der zerrütteten Ampel-Koalition... In der Ampel-Regierung ist der Klimaschutz zur Verhandlungsmasse verkommen, mit der sich die Koalition von Krise zu Krise schleppt. Politische Ziele geraten dabei in den Hintergrund, Zeit für zukunftsrelevante Entscheidungen geht verloren. Ständiges Neu- und Wiederverhandeln führt immer häufiger zu unbrauchbaren Ergebnissen. Beispiel Elektrifizierung des Verkehrs: Durch die kurzfristige, improvisierte Abschaffung der E-Auto-Prämie sanken hierzulande die Verkäufe von Elektrofahrzeugen im Jahr 2023 um 16 Prozent, während EU-weit immerhin noch ein Anstieg von 14 Prozent zu verzeichnen ist.
Die Rechtspopulisten beginnen das Handeln der Regierenden zu diktieren... Der rhetorische Nihilismus der Populisten (Motto: „Wir sind gegen alles und organisieren Unzufriedenheit“) sorgt verstärkt durch mediale Berichterstattung für Empörung, für die Affektbesetzung des Themas und für epistemische Unsicherheit. Nächster Schritt: Empörung und Verunsicherung zwingen die Regierenden zur Handlungskorrektur. Beschlossene Klimamaßnahmen werden aufgeschoben, aus Angst, die Zustimmung in der Bevölkerung für den Klimaschutz grundsätzlich zu verlieren. Die destruktive Maßnahmenrelativierung seitens der Populisten bestimmt ab jetzt das Spiel und zwingt die Regierenden in die Rolle der Maßnahmenrelativierer. Der Populismus hat gewonnen, er steuert ab sofort die politische Debatte, weil er verantwortungslos argumentiert (im Stile eines trotzigen Kindes). Regierungspolitik verliert die Kontrolle über das Geschehen.
Grundlagen von Demokratie und Faktizität werden attackiert... Wir sollten uns klarmachen, was das für die Zukunft unseres politischen Systems bedeutet. Es geht den Rechtspopulisten zuallererst darum, Vertrauen in die Institutionen und politischen Prozesse zu zerstören. Wir können das auch als den Versuch bezeichnen, eine „epistemische Krise“ („Episteme“ verkörpern das wissenschaftlich gültige und vernünftige Wissen) heraufzubeschwören. Wenn niemand mehr weiß, was richtig und was falsch ist, wenn der Eindruck entsteht, dass Probleme nicht mehr gelöst werden können, dann ist sowieso alles egal, dann herrscht Apathie. Darum geht es den Rechtspopulisten. Vladimir Putin betreibt diesen politischen Nihilismus seit mehr als zehn Jahren und ist das große Vorbild der Rechtspopulisten.
Für die Bürgerinnen und Bürger ist der Klimawandel Zukunftsthema Nummer 1... Die Maßnahmenverzögerung richtet sich übrigens auch gegen die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union (siehe Graphik). Umfragen bestätigen, dass der Klimawandel das Faktum ist, dass das Denken der Menschen über die Zukunft zurzeit am stärksten beeinflusst.
Green Deal und IRA sind rechtlich nicht anfechtbar... Sowohl Bidens IRA als auch der Green New Deal der EU werden sich auf absehbare Zeit nicht (auch nicht durch die Machtübernahme der Rechten) rückgängig machen lassen. Der Green Deal ist in einem komplexen Netz von Gesetzen abgesichert, der IRA ist sehr präzise als Prozess definiert, gegen dessen einzelne Etappen kaum rechtliche Schritte eingelegt werden können.
Was passiert, wenn Rechtspopulisten regieren?... Doch die Spirale der Absurditäten lässt sich noch weiterdrehen: Großbritanniens Premier Rishi Sunak, dessen konservative Partei zu den Rechtspopulisten gezählt werden muss, versucht sich gerade darin, die eigenen Klimamaßnahmen anzuzweifeln und dabei gleichzeitig zu vertreten. Erfreulicherweise quittieren die Wählerinnen und Wähler diese „Nicht-Haltung“ mit Nichtbeachtung. Sunaks Zustimmungsraten haben gerade historische Tiefstände erreicht.
Populist Wilders stiehlt sich aus der Regierungsverantwortung... Mit einer ähnlichen schizoiden Haltung ist in den Niederlanden der Rassist und Rechtspopulist Geert Wilders unterwegs. Er kündigte im Wahlkampf den Austritt aus den Pariser Verträgen an und versprach, das niederländische Klimagesetz zu streichen. Wilders kämpfte einige Tage darum, in den Niederlanden eine Regierung zu bilden, hätte dafür aber wohl seine Anti-Klima-Haltung aufgeben müssen, um Unterstützung von anderen Parteien zu erhalten. Der ach so überzeugte Klimaleugner Javier Milei, rechtspopulistischer Staatspräsident Argentiniens, erwägt die Errichtung eines CO2-Marktes, um die Einnahmen der argentinischen Regierung zu steigern, obwohl er den Klimawandel für eine „sozialistische Lüge“ hält.
Unternehmen fordern stringente Politik ein... Der rhetorische Nihilismus der Populisten richtet sich gegen Wachstum und Modernisierung, gegen die Mehrzahl der Unternehmen, die längst Kurs genommen haben auf die dekarbonisierte Wirtschaft, und gegen die Milliarden der Investoren. Im vergangenen September veröffentlichte eine Gruppe von über 250 Unternehmen und NGOs einen offenen Brief an den britischen Premierminister, in dem sie feststellte, dass die Geschäftswelt „erhebliche Investitionen“ in die Energiewende getätigt habe und dass das Festhalten an der Netto-Null-Politik von entscheidender Bedeutung sei, um Vertrauen aufzubauen und Investitionen zu mobilisieren.
Trump wird die Dekarbonisierung nicht stoppen... Laut einer Analyse des Think Tanks „Energy Innovation“ werden die US-Emissionen auch dann weiter sinken, wenn Trump die Wahl gewinnen, den IRA aufheben und Umweltvorschriften abbauen sollte, allerdings mit einer stark verminderten Geschwindigkeit. Bis 2030 würden die Emissionen in den USA um 24 Prozent gegenüber dem Niveau von 2005 sinken. Bleibt Biden an der Macht, ist von einer CO2-Minderung um 50 Prozent auszugehen.