Die „Vertrashung“ der Internet-Plattformen mit KI generiertem Informationsmüll droht. BigTech wird von seinem Werbemodell nicht abweichen. Wissenschaft und Journalismus müssen sich entscheiden, ob sie für Algorithmen oder Leser:innen produzieren. Ausgerechnet TikTok weist einen Ausweg.
BigTech, vor allem Amazon, Facebook, Google und X (sofern man es noch zu BigTech zählen sollte), wird sich nicht von seinem Targeting-Werbe-Geschäftsmodell verabschieden. Eine weitere Individualisierung des Targetings durch KI, so die vage Hoffnung, könnte das Geschäft mit den fremden Daten noch einmal effektiver machen.
Guter Journalismus, wir haben es miterlebt, ist an seiner kostenlosen digitalen Distribution speziell via Facebook zerschellt. Wie sieht die Zukunft aus? KI trifft auf das Internet, und das Netz ist schlecht darauf vorbereitet. Immer mehr billiger KI-Content überflutet das Netz und raubt den SocialMedia-Plattformen ihre letzte Glaubwürdigkeit. Autoren finden ihre eigenen Texte, geringfügig verändert, auf KI-generierten Seiten wieder. Die New York Times und namhafte Autoren wie Jonathan Franzen, John Grisham und Jodi Picoult haben OpenAI wegen Urheberrechtsverletzungen verklagt.
Verkommt das Netz zur Fakenews- und KI-Müllhalde?...
Die KI hat in ihren großen Sprachmodellen wie ChatGPT die Vergangenheit des Internets zusammengefasst und für eigene kommerzielle Zwecke verfügbar gemacht. Bis ins Jahr 2027, so lauten erste Vorhersagen, sollte das Internet für das Training der Algorithmen jedoch aufgesaugt sein. Was kommt dann? Was bei der im Sinkflug befindlichen Glaubwürdigkeit von BigTech nicht auszuschließen wäre: wird dann alles noch einmal durch den Fleischwolf gedreht? Ein positiver Aspekt: Transparenzrichtlinien, wie sie aktuell unter anderem von der EU ausgearbeitet werden, könnten die völlige „Vertrashung“ des Internets verhindern siehe Seiten wie Quora, Reddit oder neuerdings Arc Search). Und: Unternehmen wie Adobe haben die Gefahr der Daten-Korruption erkannt und machen Fortschritte bei der Entwicklung von digitalen Wasserzeichen. Die Verfügbarmachung von Metadaten könnte die Bildbearbeitungsbranche vor der Selbstzerstörung bewahren.
Wie führende Plattformen bislang mit Urheberrechten umgehen, Beispiel YouTube...
Ein kurzer Blick zurück: Modelle wie YouTube und Google-Books können sich nach wie darauf verlassen, dass sie von der US-Justiz durchgewunken wurden, weil es ja „die guten Jungs“ von Google waren und der Grundsatz der „Fair Use“ gilt, der grundsätzlichen freien Nutzbarkeit von Materialien aus Bibliotheken, Museen et cetera. Ab 2007 versuchte Viacom sieben Jahre lang Urheberrechtsverletzungen in einem Milliarden-Dollar-Prozess einzuklagen. Vergeblich. Im Prozess beklagte Viacom, dass YouTube „dreiste“ Urheberrechtsverletzungen begangen habe, indem sie Nutzern erlaubt habe, urheberrechtlich geschütztes Material von Viacom hochzuladen und anzusehen. Über 150.000 nicht autorisierte Clips des Viacom-Programms, darunter Episoden vieler beliebter Fernsehsendungen, seien rechtswidrig auf YouTube verfügbar gemacht und insgesamt 1,5 Milliarden Mal angesehen worden.
Wir müssten das Neue belohnen...
Was die KI zu einer großen Content-Wiederaufbereitungsanlage gemacht hat, beschreibt Nilay Patel, Jurist und Chefredakteur des Medienfachmagazins „The Verge“, in moralischer Hinsicht als Diebstahl. In den nächsten Monaten müsse die Frage beantwortet werden, wie neue Inhalte, wie Kunstwerke im Internet entlohnt werden. Die Frage, so Patel, müsse beantwortet werden, wie gelingt es uns, die Produktion von neuen kreativen Dingen zu entlohnen: „How do you incentivize new art? How do you make sure that it’s economically valuable to make new things? How do you make sure the distributors don’t gain too much power, and then how do you make sure that when people are building on the past, the people whose art they’re building on retain some value?”
Welchen digitalen Weg können Wissen und Information künftig gehen...
In seinem Podcast mit Patel weist Ezra Klein, Medientheoretiker und Redakteur der New York Times, darauf hin, dass die Sprach-KI eine große Imitationsmaschine sei. KI, so Klein, sagt uns: alle sind ersetzbar, alles ist digital auffindbar und reproduzierbar. Die Botschaft von ChatGPT bestehe in Folgendem: Verhalte dich wie eine Maschine, mache das, was die Maschine möchte, nicht was du mit der Maschine machen kannst. ChatGPT et al. sind – wir haben das in diesem Blog schon mehrmals betont – nicht der Durchbruch zur AGI (Artificial General Intelligence), zu einer künstlichen Intelligenz, die „bewusstseinsähnlich“ agiert. „From good to great“, das sei nach wie vor nur dem menschlichen Geist vorbehalten. Google ist großartig darin, banale Fragen zu beantworten: Wie lange muss ich ein weiches Ei kochen, welchen Umsatz hat Tesla im abgelaufenen Quartal gemacht? Wir wissen aber auch: Zukunftswichtige Lösungen und Inspiration, wie die Zukunft der Menschheit zu gestalten ist, finden wir in der Suchmaschine nicht.
Die Gefahr, dass unsaubere KI und Desinformation die großen Plattformen komplett unnutzbar macht, weil synthetischer KI-Content nicht mehr von wahrheitsgetriebener Berichterstattung und Augenzeugenschaft zu unterscheiden ist, ist real. Wo gehen wir dann künftig in Krisensituationen wie der Weltwirtschaftskrise oder einer Pandemie hin, um saubere Informationen zu bekommen (flight to quality)? Ein spannender Trend: Junge Autor:innnen transportieren immer mehr seriöse Informationen aus der Welt der Wissenschaft auf die hippe Plattform TikTok. So erhält auf TikTok ein Wissenschaftsartikel aus „Nature“ plötzlich Millionen Pageviews, was auf den gängigen Vertriebskanälen unmöglich ist. BookToker:innen verändern den Umgang mit Belletristik. Mittlerweile ist BookTok ein Wirtschaftsfaktor.
Der Bedrohung, die von KI für das Netz und für Demokratie und Informationssicherheit ausgeht, das sind sich Patel und Klein einig, könne durch solche Netz-Kurator:innen begegnet werden. Nicht weniger wichtig, braucht es publizistische Marken und Persönlichkeiten, die von publizistischen Institutionen gestützt werden
5 Learnings
• Jahrelang haben Plattformen und digitale Medienhäuser in die technische Erzeugung von Reichweite („Träffik“) investiert – nachhaltiger könnte es angesichts der „Vertrashung“ durch KI sein, ein interessiertes Publikum zu erreichen.
• KI-Sprachmodelle werden nützliche Assistenz-Instrumente liefern – Menschen mit Unterscheidungsvermögen, mit eigenen Standpunkten und der Fähigkeit, Dinge einzuordnen, werden im KI-Tsunami ungleich wichtiger.
• Wissenschaft und Journalismus müssen sich ihrer enormen Bedeutung angesichts der Durchdringung des Internets mit KI bewusst werden. Und das heißt, sie sind nicht nur ein Zulieferer für Algorithmen. Präzision, Zuspitzung, Inspiration im Umgang mit der Wirklichkeit, das sind Zukunftskompetenzen, die KI nach wie vor nicht leisten kann. Ezra Klein: “There is this deep hollowness at the center of it. It is style without substance. It can mimic me. It can’t think.” Im Inneren der KI ist eine bedenkliche Leere, der Verzicht auf Sinn und Weltbezug.
• Wissenschaft und Journalismus, aber natürlich auch die Unternehmenswelt, müssen ein Denken fördern, das nicht nur zum Füttern von Algorithmus da ist (das können Maschinen besser). Wir müssen andere Werte und Talente in Menschen fördern und nicht nur ihre ökonomische Verwertbarkeit im Sinn haben. Für Medieninsider wie Klein und Patel bedeutet das, Urteilsfähigkeit stärken, mehr Mitarbeiter zu Autoren, Kreatoren und Kontext-Spezialisten zu machen.
• Die alten Vertriebskanäle sind kaputt und korrumpiert. Das Targeting-Werbemodell hat seine Glaubwürdigkeit eingebüßt, niemand spricht positiv über SocialMedia. X ist ein zynischer Antiinfo-Kanal, Facebook zeigt keine Haltung, die Google-Suche verkommt zum Ramschladen, YouTube ist eine allgegenwärtige Infrastruktur, auf der jedoch ebenfalls mehrheitlich Desinformation stattfindet.
Zwei Fragen bleiben: 1. Wo findet künftig seriöser Journalismus statt und 2. wer bezahlt ihn, wenn Suchergebnisse irgendwann hauptsächlich aus KI-Inhalten bestehen?