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Klimapolitik/Politiker-Bashing: Warum wir gerade das Heft des Handelns aus der Hand geben

Die Politik weicht zurück vor den Bauern. Zunehmende Übergriffe auf Grünenpolitiker:innen zeigen, dass es um die Verteidigung unseres prekären Wohlstandsmodells geht. Alternativen, der Eindruck soll entstehen, würden einen Volksaufstand auslösen. Statt für Fortschritt entscheiden wir uns für Apathie und Regression. Wer sind die Spindoktoren hinter diesem Rückfall. 

 

Als im vergangenen Sommer die Temperaturen in den Schweizer Alpen drei Grad Celsius über den historischen Durchschnitt kletterten, wurde in dem schönen Land die rechtsextreme Volkspartei SVP, die den Klimawandel leugnet, zur stärksten Fraktion im Parlament gewählt; die Stimmen für die Grünen schrumpften. In den Niederlanden ist die Nordsee seit 1900 um etwa 19 Zentimeter gestiegen, der Wert ist seit den 1990er Jahren von 1,7 Millimeter pro Jahr auf etwa 2,7 Millimeter gestiegen. Infrastrukturen müssen zeitnah angepasst werden, denn durch den Anstieg wird es für Flusswasser immer schwieriger, ins Meer zu gelangen. Im November gewann der Nadelstreifen-Faschist Geert Wilders mit 23,5 Prozent der Stimmen die Parlamentswahlen in den Niederlanden und polterte, dass er erst einmal die internationalen Klimamaßnahmen auf den Prüfstand stellen werde. 

 

In ganz Europa werden in diesem Winter die Auswirkungen des Klimawandels immer sichtbarer - und die Parteien, die etwas dagegen tun wollen, geraten unter erheblichen Druck. Portugals Algarve leidet unter einer besorgniserregenden Dürre. Am 10. März stehen Wahlen an. Zurzeit liegt die grünfreundliche Linke bei Umfragen deutlich hinter den Mitteparteien und der extremen Rechten. Südspanien hat schon wieder den Dürrenotstand ausgerufen, während die pro-grüne sozialistische Regierung immer stärker ins Wanken gerät. Schneefreie Skigebiete in Italien werden offenbar den Umweltschützern angelastet; die Grüne Partei liegt in Umfragen bei rund vier Prozent. 

 

Der Klimawandel erzeugt Ängste. Doch die Reaktionen darauf in Wirtschaft und Gesellschaft sind paradox bis absurd und werden immer wunderlicher. Längst leugnet ein Populist wie Wilders nicht mehr den Klimawandel. Doch die Maßnahmen, die er vorschlägt, bestehen darin, einfach die Deiche höher zu bauen: Bahnt sich da ein gesellschaftlicher Konsens an, der dem Sankt-Florians-Prinzip huldigt und hofft, „dass es – irgendwie - noch ein paar Jahre gutgehen möge“. 

 

Gegenüber den künftigen Generationen werden wir die Frage beantworten müssen, wie wir zu dieser schizoiden Weltauffassung gekommen sind. 

 

1. Die Transformation scheitert am veralteten Wohlstandssystem

 

Warum gleitet uns die Transformation gerade aus den Händen? Leider haben Menschen keine Sinnesorgane für den politischen und ökologischen Selbstmord, den wir gerade kollektiv vorbereiten. Wir können uns nicht daran gewöhnen, in planetaren Grenzen zu denken. Wenn es um Ausbildungschancen für unsere Kinder geht, sind wir hellwach und kümmern uns. Aber wenn es ums Ganze geht, versagt unser Vorstellungsvermögen. Wir halten globale Kommunikations- und Reiseoptionen („zu den schönsten Orten dieser Welt“) für selbstverständlich. Nach wie vor scheint die Sorge um die Zukunft unseres Ökosystems kein Thema zu sein, das auf unserer Alltagsagenda Platz hat.     

 

Gerade sind in Deutschland die Grünen, was ihre Klimapolitik angeht, merklich zurückgewichen. Die Deutschen würden an fortgeschrittener Transformationsmüdigkeit leiden, ist immer häufiger zu hören. Man könnte das auch als Teil eines klimaskeptischen, reaktionären Narrativs sehen. Dahinter verbirgt sich das verhängnisvolle Bekenntnis, dass alles, nur der Wohlstand nicht in Frage gestellt werden darf. Auch die Grünen halten sich daran. Selbst erschöpft von Widerständen und Aggression gegen Akteure der Partei, rudern sie seit Tagen agrarpolitisch zurück. Ricarda Lang, Co-Vorsitzende der Partei, die in letzter Zeit häufig Einschüchterungen und Nötigung ausgesetzt war, entschuldigte sich bei den Bauern; die Abschaffung der Steuererleichterungen für die Landwirte wurde zurückgenommen. In dieser Woche ruderte die EU-Kommission angesichts des Brüsseler Bauernprotests zurück. Die EU-Kommission hat einen Gesetzentwurf kassiert, mit dem sie den Einsatz von Pestiziden einschränken wollte. Außerdem setzt sie kürzlich die Vorgabe aus, vier Prozent des Ackerlandes brach liegen zu lassen.  

 

Wohlstand und Konsum, alles soll so bleiben wie es ist. Und die Bauern sehnen sich nach dem alten, dysfunktionalen EU-Subventionssystem. Michael Bauchmüller hat es vergangene Woche in der „Süddeutschen Zeitung“ schlüssig erklärt: Statt die EU-Subventionen so umzuverteilen, dass die Landwirte im Sinne der Allgemeinheit für nachhaltigeres Wirtschaften (gesunde Tiere, gesunde Böden, Agroforst) belohnt werden, pochen die Traktor-Rebellen darauf, dass alles beim Alten bleibt und die EU-Bauern weiter sich selbst und ihr Land ausbeuten müssen. Auch hier: Vielleicht geht es noch zeghnh Jahre gut...

 

2. Wer hat den Konsumfetisch in unserer Realität installiert?

 

Vielleicht müssen wir uns in Europa (und nicht nur dort) endgültig darauf einstellen, dass verzweifelt und aggressiv eingeklagte Wohlstandserwartungen gegenüber der Nachhaltigkeit die Oberhand behalten. Immer häufiger ist zu hören: Bevor wir uns unsere Geschäftsgrundlage durch Steuern und Strompreise vernichten lassen, beten und bangen wir kontrafaktisch, dass der Planet bitte noch ein paar Jahre durchhalte – vielleicht „wird’s ja nicht so schlimm“, wie der CDU-Vorsitzende und Wirtschaftsliberale Friedrich Merz, komplett faktenbefreit, dem Wahlvolk gerne zuruft. Die horrenden Kosten, die der Klimawandel schon heute verursacht lassen wir wie Teflon an uns abperlen. 

 

Alles, nur keine Hand an unser Wohlstandsmodell legen. Unser Konsumfetisch ist ein Kind der 1990er Jahre, als überall in der westlichen Welt der Sozialstaat geschrumpft wurde und die neoliberalen Spindoktoren die historische folgenreiche Figur des Konsumenten erfanden. Er/sie gehörten damals zur neuen Schicht der besserverdienenden Wissensarbeiter. Als Wellness- und Mobilitäts-Konsumenten (Autogesellschaft, Flugtourismus) lösten sie den Facharbeiter als gesellschaftliche Mitte ab. Seitdem gilt Konsum-Wohlstand nebst Reisewellen und Individualisierung des Lebensstils als unverzichtbar – alles in Überfülle vorhanden, grenzenloses Wachstum dank fossiler Energien.  

 

Die zynische Ideologie, die hinter dem Modell der Konsumgesellschaft steht, ist der neoliberale Marktradikalismus, den Ökonomen wie Milton Friedman, Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek mit religiöser Besessenheit seit den 1930er Jahren predigen. Es ist der Marktradikalismus, der uns zur Verdrängung der Realität des Klimawandels auffordert. Die Neoliberalen frohlocken, wenn wir von Transformationsmüdigkeit sprechen. Der Neoliberalismus ist der Feind jeder gelingenden Transformation, denn er möchte an der deregulierten Konsumgesellschaft festhalten, obwohl die planetaren Grenzen längst ein Umdenken fordern. 

 

Deregulierte Märkte, so wünscht es das neoliberale Playbook, sollen immer neue Bedürfnisse (er-)finden und kapitalisieren, der Staat sich bitteschön aus dem Leben der „Konsumindividuen“ heraushalten. Die Märkte regeln das schon. Freiheit (zum Konsum) ist die oberste Maxime. Alle Eingriffe in den Markt, wie die oben angedeutete Gemeinwohlorientierung der EU-Landwirtschaft, würde die Konsumgesellschaft positiv transformieren. Bauern würden – ohne auf eine soziale Marktwirtschaft zu verzichten – für aktiven Klimaschutz im Stall und auf dem Feld entlohnt. 

 

Das wäre Fortschritt im 21. Jahrhundert! 

 

3. Marktradikalismus: lieber in die industriepolitische Regression 

 

Das schmutzige Geschäft der Neoliberalen, die nicht Müde werden, die Dekarbonisierung der Industrie vorzugsweise mit rechtlichen Mitteln (wir denken an die Klage gegen das Heizungsgesetz) zu sabotieren, ist Regression, also das genaue Gegenteil von Fortschritt. Die Philosophin Rahel Jaeggi beschreibt solche reaktionären Regressionen als „Realitätsvermeidung“ aus guten Gründen: „Regression in diesem Sinne ist problematisch, insofern sie Ersatzhandlungen befördert, die das Scheitern oder das Gefühl der Machtlosigkeit zu verdrängen helfen.“ (Rahel Jaeggi: „Fortschritt und Regression“, S. 217/218) Es wird schon nicht so schlimm, tröstet Merz, statt das Parlament auf das Jahrhundert-Projekt der Dekarbonisierung einzuschwören. 

 

Merz und Lindner haben sich offenbar entschlossen, mit politischen und juristischen Ersatzhandlungen ihr Scheitern und ihre Konzeptlosigkeit gegenüber dem Klimawandel zu bemänteln. 

 

Auch dahinter steckt neoliberale Ideologie. Die sozial-ökologische Transformation ist ein Projekt, das Ungleichheit und Demokratiemüdigkeit adressiert. Doch genau um ein solches zivilgesellschaftliches Empowerment zu verhindern, sind die Neoliberalen angetreten. (siehe Quinn Slobodian: „Globalists“, 2018, S.375-406.) Da erscheinen Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Gemeinwohl und Umverteilung als lästig - und der Klimawandel als degoutant. Hayek erklärte, als er 1981 zur Unterstützung des Diktators Pinochet in Chile weilte: „Persönlich ziehe ich einen liberalen Diktator einer demokratischen Regierung ohne Liberalismus vor“. Peter Thiel, PayPal-Gründer und glühender Verfechter der neoliberalen Ideologie, sagte 2009: „Freiheit und Demokratie sind nicht länger kompatibel. Wer die Freiheit liebt, müsse versuchen, der Politik in all ihren Formen zu entkommen.“ Der deutsche Finanzminister gehört zu den Fanboys dieser Ideologie und hängte Hayek-Poster in seinem Büro auf

 

Und ebenso wie neoliberale Hardliner jedem, der es hören möchte, versichern, sie würden im Zweifelsfall der Freiheit den Vorzug vor der Demokratie geben, stellen wir uns unter dem Bann der populistischen Realitätsleugnung gerade darauf ein, Wohlstand auf der ökologischen Rasierklinge (wann kommt ökologisch und ökonomisch der komplette Breakdown?) den Vorzug gegenüber einer Politik der Nachhaltigkeit (Arbeitsplätze, technologischer Fortschritt) zu geben.

 

Jetzt wissen wir, woher Demokratieverachtung und der Hass gegen diejenigen kommen, die nach Lösungen gegen den Klimawandel suchen.