Die „anthropozäne Ernährung“, das sollten wir uns klar machen, ist ein zivilisatorischer Ausnahmefall und geht auf Kosten des Planeten. Für eine zukunftstauglichere Ernährung hilft es indes wenig, den moralischen Zeigefinger zu heben.
Unsere anthropozäne Ernährung, die wir als wohlhabende Erdenbewohner seit gut einem halben Jahrhundert genießen, würde alle vorherigen Generationen in Erstaunen versetzen: so viel, so süß, so salzig, so fett, so viel Fleisch?! Wie viele Entwicklungssprünge kommt auch dieser nicht ohne Kosten daher. Unser Fleisch ist so billig, weil es auf grausamer Massentierhaltung basiert. Milliarden von Tieren verbringen ein kurzes und oft schmerzerfülltes Leben zusammengepfercht in luftleeren Ställen.
Unser täglich Brot: eine historische Ausnahmesituation
Die anthropozäne Diät wurde nur unter ganz besonderen Bedingungen möglich, bei denen ein großer Teil der Erdoberfläche für Landwirtschaft und Weideland genutzt wurde, die Lebensmittelproduktion energieintensiv war, Pestizide im Überfluss verwendet wurden, der globale Warenverkehr billig funktionierte und die Lebensmittelverarbeitung eine hoch entwickelte industrielle Maschinerie darstellte. Wir alle wissen, dass dies nur in einer Epoche möglich wurde, in der menschliche Bedürfnisse und die darauf aufbauende Wirtschaft zu den planetengestaltenden Kräften der Natur zählten. Eine Zeit, die wir zurecht mittlerweile als Anthropozän bezeichnen.
Das Pflücken von Beeren und Salat ist eine anstrengende Arbeit. Die Menschen, die das (für uns) tun, haben häufig keine Krankenversicherung, genießen keinen Arbeitsplatzschutz und erhalten keinen existenzsichernden Lohn. Viele Fischereien auf der Welt werden von Sklavenarbeitern betrieben. Durch das Abfließen von Düngemitteln und tierischen Abfällen wuchern Algenblüten, die den immer größeren toten Zonen in den Meeren den letzten Sauerstoff entziehen. Es gibt schlechterdings keine menschliche Tätigkeit, die mehr Treibhausgase erzeugt als die Tierhaltung – insbesondere die Viehzucht, für die Viehzüchter riesige Waldgebiete abholzen. Bei der industriellen Verarbeitung von Lebensmitteln, die dazu dient, Lebensmittel billig, schmackhaft und süchtig machend zu gestalten, werden ihnen Nährstoffe entzogen, während Fette, Zucker und Salz hinzugefügt werden.
Warum der moralische Zeigefinger das Problem nicht löst
Wir müssen umdenken. Die Suche nach Proteinalternativen für unseren exzessiven Fleischkonsum ist schwierig, lässt uns aber keine Alternative. Und kaum etwas scheint beharrlicher als Gewohnheiten, die sich auf unser täglich Brot beziehen. Doch noch vor fünfzig Jahren betrachteten die meisten westlichen Restaurantgäste den Verzehr von rohem Fisch mit Skepsis und Widerwillen, heute wird Sushi ganz selbstverständlich in Supermärkten angeboten. Eine ganze Reihe von Insektennahrungs-Startups haben Geld eingesammelt in der Hoffnung auf eine nachhaltige Geschmacksveränderung in den westlichen Gesellschaften.
Insekten wandeln Nährstoffe und Wasser weitaus effizienter in Eiweiß um als Tiere, die unvergleichlich häufiger verzehrt werden. Ihr Anbau erfordert keine Rodung, setzt wenig Treibhausgase frei und kann zusammen mit anderen Nutzpflanzen erfolgen – ein weiterer Lückenfüller in der Nachhaltigkeits-Roadmap. Eine reichhaltige Proteinquelle, die keinen großflächigen Ackerbau oder viel Wasser erfordert – wie es insbesondere bei Sojabohnen der Fall ist – kann eine geringere Gesamtbelastung haben, insbesondere wenn sie größtenteils aus Abfällen ernährt wird. Laut der "Lebensmittelzeitung" (17.11.2023) gehen mittlerweile 41 Prozent der Deutschen davon aus, dass Insekten künftig ein größere Rolle bei der Ernährung spielen werden.
Man kann leicht zu dem Schluss kommen, dass die Konsumenten der Anthropozän-Diät grausam gegenüber Tieren sind und sich sowohl für die Zukunft ihres Planeten als auch für ihre eigene NICHT interessieren. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Eine moralische Bewertung unserer Ernährungsweise ist problematisch, denkt man beispielsweise an eine alleinerziehende Mutter mit knappem Budget, die auf dem Heimweg von der Arbeit ist und einfach nur ein Abendessen haben möchte, das ihre Kinder glücklich macht. Das bedeutet ja nicht, dass es ihr scheißegal ist oder sie sich nicht auch ein System wünschen würde, das gut ist für ihre Familie und die Welt.
Beyond Meat und der „Margarine-Effekt“
Die Märchengeschichte des ehemaligen Börsenlieblings Beyond Meat dauerte nicht einmal zwei Jahre. Die Idee, den Amerikanern ihren Rindfleisch-Burger einfach durch pflanzenbasierte Bulletten zu ersetzen, scheiterte schlicht am „Margarine-Effekt“ (was ist wirklich gesünder...): nach der anfänglichen Begeisterung während Corona zogen die US-Bürger wieder das fleischliche Original vor. Das Unternehmen flunkerte bei angeblichen Deals mit Fastfood-Giganten, konnte aber seine Kundenreichweite nicht nennenswert steigern. Längst sind andere Unternehmen aufgesprungen und zeigen, dass der Beyond-Burger kein Unikat ist und besser und billiger hergestellt werden kann.
Silicon-Valley-Disruptionen, moralischer Zeigefinger und Patentrezepte helfen nicht weiter. Für die Transformation unserer Ernährungswelt müssen sich Wissenschaft, Industrie und Politik an einen Tisch setzen und Vorschläge erarbeiten, die uns allen eine nachhaltig-gesündere Ernährung schmackhaft machen.