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Wie wir 2024 unsere Klimapolitik neu starten sollten

Cambridge University 2020
Cambridge University 2020

Das Verzögern von Klimaschutzmaßnahmen ist genauso fatal wie Nichtstun. Der größte Gegner der Klimapolitik in Europa ist nicht die verunsicherte Gesellschaft, sondern der konservative Populismus. Auch die Verrechtlichung der Klimadebatte hilft nicht weiter. Wir brauchen eine kollektiv bindende Klimapolitik: Alle machen mit, keiner wird zurückgelassen. 

 

Seit einigen Tagen verdichten sich die Anzeichen, dass das Ende des Verbrennungsmotors in Europa aufgeschoben wird. Großbritanniens Premierminister Rishi Sunak kündigte jüngst die Verschiebung des Endes der fossilen Automobilität von 2030 bis mindestens 2035 an. Wir berichteten kürzlich, dass der neue Premier, auch was die Energiewende angeht, mittlerweile eine streng rechtspopulistische Agenda verfolgt. Das sorgt jetzt selbst bei Autoherstellern wie Ford, Renault und Volvo für Kopfschütteln, die zurecht befürchten, dass sich durch das Aufschieben des Verbrenner-Endes die Kaufzurückhaltung (Elektromobilität oder doch nicht?) weiter steigern wird. 

 

Sunak liegt in Umfragen seit Längerem klar hinter der Labour-Regierung und zieht frühzeitig in den Wahlkampf für den Urnengang im Januar 2025. Nach aktuellen Umfragen sprechen sich Dreiviertel der Briten für einen Regierungswechsel aus. Deswegen werden Steuergeschenke verteilt. Und darüber hinaus zeigt sich, dass es vorzüglich funktioniert, die Axt an Energie- und Mobilitätswende zu legen, um Nähe zum „kleinen Mann“ vorzugaukeln.  

 

Wenn Klimaschutz zum Spielball von Demagogie wird

 

Der Brexit, selbst das Resultat populistischer Desinformation, ist ein Desaster, diese Erkenntnis beginnt sich im Vereinigten Königreich durchzusetzen. Da hilft nur der Griff in die Trickkiste der Erregungs-Demokratie.  Im September hielt Sunak eine Rede, die vor Demagogie strotzte. Die Politik der Opposition werde „dazu führen, dass Menschen Autos teilen, weniger Fleisch und Milchprodukte essen müssten“. Extrasteuern würden erhoben, um „den einfachen Mann“ vom Fliegen abzuhalten, und er müsse sieben Mülltonnen haben, um Recyclingziele zu erreichen“.

 

Die britischen Konservativen tun dabei nichts anderes als das, was hierzulande FDP und CDU/CSU seit Monaten betreiben und was sich unter den Konservativen in der EU als neue Generallinie abzuzeichnen beginnt. Sie haben registriert, dass in Fragen der Energiewende, der Mobilitätswende und des Klimawandels – gerade bei Unterprivilegierten - große Verunsicherung herrscht. Und wo Verunsicherung herrscht (unterfüttert durch Bild, Sun etc.), da lassen sich Aufmerksamkeitsgewinne mit Populismus erzielen, die Spaltungstendenzen in der Gesellschaft schüren. Gerade verunsicherte und von Abstiegsängste geplagte Bevölkerungsgruppen beginnen, an die einfachen Lösungen der Merz‘ und Sunaks zu glauben: Verbalradikalismus und alternativloses Dagegensein aus dem konservativen Lager führen so dazu, dass der ansatzweise in der Bevölkerung verankerte Konsens für entschlossenen Klimaschutz zerbröselt. 

 

"Der einfache Mann" lehnt den Klimaschutz nicht ab

 

Wie neueste Forschungen zeigen, gibt es kein Themengebiet (auch nicht Migration und auch nicht finanzielle Ungleichheit!), dass bei Menschen mit niedrigem Einkommen derart von Abstiegsängsten begleitet ist, wie die Energie- und Mobilitätswende. Steffen Mau et. al. weisen in „Triggerpunkte“ darauf hin, dass insbesondere die Klimapolitik als „Bedrohung eines ohnehin prekären Lebensstandards gilt“. (233) Dabei gibt es keine klare Evidenz, dass Menschen mit niedrigem Einkommen grundsätzlich klimaskeptisch eingestellt wären oder – wie häufig insinuiert – schlecht informiert bzw. schlicht zu doof.

 

Was über die demagogischen Volten der Rechtspopulisten und Konservativen im EU-Raum gerade passiert, ist, dass die ökologische Frage über die soziale Frage („wer kann sich denn die Klimamaßnahmen leisten?“) umgeleitet wird. Mit anderen Worten: Wer Klimawandel oder Energiewende hört, der denkt immer häufiger: Wer soll das bezahlen? Daran anschließend werden Diskussionen, die sich um eine Veränderung des eigenen Lebensstils drehen (weniger Fleisch, weniger Auto, weniger Urlaubsflüge) zu hoch emotionalisierten Kulturkämpfen stilisiert, da angebliche Verbote folgen würden, über deren Inkrafttreten jedoch nichts bekannt ist. Der größte Schaden durch diese rechtspopulistische Demagogie: Es wird von den wirklich wichtigen Themen abgelenkt. Die Folgen verhinderter Klimapolitik in der Zukunft erscheinen als abstrakt und weltfremd. Desinformation aus den Zentralen sogenannter Volksparteien. Das Ende der Welt wirkt abstrakt, wenn Unterprivilegierte geltend machen, dass sie nicht einmal wüssten, wie sie das Ende des Monats finanziell gestalten sollen.

 

CDU/CSU delegitimieren den Klimaschutz

 

Zurzeit reüssieren CDU und CSU mit dem Spaltpilz der unbezahlbaren Wärmewende. Ihre Klage gegen den Nachtragshaushalt 2021 und den Klima- und Transformationsfonds lässt die Roadmap der Dekarbonisierung der deutschen Industrie erst einmal gegen die Wand fahren. Der womöglich wichtigste Effekt: die Klimakrise wird in der öffentlichen Meinung entkonkretisiert und der Klimaschutz entsprechend deligitimiert. Forscher der Universität Cambridge haben mittlerweile zehn Strategien des ideologischen Hinauszögerns von Klimaschutz identifiziert. Die Nutznießer: Mineralölkonzerne und Rechtspopulisten.

 

An dieser Stelle ist es hilfreich, daran zu erinnern, dass im Herbst 2018 zwei Umweltbewegungen an den Start gingen: fridays for future, die sich schnell und mit großer medialer Aufmerksamkeit internationalisierten, und die französischen Gelbwesten (giletes jaunes), eine Bewegung der unterprivilegierten Berufspendler. Die Gelbwesten brachten die Regierung Macron in Gefahr, Paris erlebte im Winter 2018/2019 bürgerkriegsähnliche Zustände. Also bereits zu Beginn des europäischen Transformationsprozesses wurde die soziale Frage gestellt. Vor diesem Hintergrund erscheint die Durchsetzung des Gebäudeenergiegesetztes (GEG) in Deutschland als eine politisch naive und handwerklich vermurkste Maßnahme. Sie rechnete nicht mit der populistischen Agenda, die auch 2024 darin bestehen wird (die AfD tut das seit 2015), Ängste, Verzweiflung und Unzufriedenheit zu organisieren und auf diese Weise von der realpolitischen Agenda (Energiewende, Mobilitätswende, Migration, Künstliche Intelligenz) abzulenken. 

 

Die neue Realität des politischen Diskurses in der EU besteht darin, dass der Klimaschutz fortan als der zentrale Aufhänger bei der konservativ-populistischen Organisation von Unzufriedenheit und Verunsicherung instrumentalisiert wird. 

 

Wie geht es jetzt weiter? Klimageld und weniger Verrechtlichung

 

Das Haushalts-Urteil der Karlsruher Verfassungsrichter:innen vom 21. November macht zurecht deutlich, dass der Klimawandel keine Notlage im Sinne des Grundgesetzes darstellt. Eine fiskalische Notlage würde weitere Unsicherheit bringen und Investoren abschrecken. Die Volkswirtschaftlerin Veronika Grimm hat (ähnlich wie von uns an dieser Stelle) den Vorschlag gemacht, den Emissionshandel stärker zum Instrument für die CO2-Senkung zu machen. Damit lassen sich unter anderem die Grundlagen für ein Klimageld schaffen, was tatsächlich eine neue Perspektive in der Diskussion um die sozialen Härten und diffusen Abstiegsängste in der Transformationsgesellschaft einbringen würde. Grimm geht davon aus, dass „die Haushalte im unteren Einkommensdrittel im Schnitt sogar besser dastehen“ würden als zuvor.

 

Das Urteil der Verfassungsrichter:innen geht auf eine Klage der CDU-Bundestagsfraktion zurück. Die neue Realität des Klima-Diskurses darf nicht in der Verzögerung der Klimaschutzmaßnahmen bestehen. Eine weitere Verrechtlichung der Transformation wird sich ebenfalls als wenig tauglich erweisen. Wie kommen wie aus der Populismus-Falle heraus? Es zeigt sich, dass wir den Klimaschutz auf der Basis kollektiv bindender Entscheidungen und Maßnahmen organisieren müssen. Das bedeutet in einem ersten Schritt, dass die Gesellschaft – die Reichen wie die Unterprivilegierten – an Entscheidungen und Maßnahmen beteiligt werden muss. Teilhabe, Kooperation, Demokratie und das Gefühl der Selbstbestimmung sind die oberen Maximen für einen gelingenden Klimaschutz. Und die beste Medizin gegen Populismus und Demagogie.