Mit der „Bio-Strategie 2030“ legt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) einen durchdachten Plan für den nachhaltigen Umbau der Ernährungswirtschaft vor. Um ein zentrales Zukunftsthema macht die Studie jedoch einen Bogen. Das liegt vor allem an den Scheuklappen des Forschungsministeriums.
Technologieoffenheit in der Biolandwirtschaft, wofür denn das, werden manche fragen. Wir erinnern uns an die sinnlose eFuels-Diskussion aus dem Frühjahr 2023: Bei den sogenannten synthetischen Biokraftstoffen geht es darum, eine alte Technologie wie den Verbrennungsmotor künstlich am Leben zu erhalten, um ausschließlich in Deutschland undurchschaubaren Lobbyinteressen in die Hände zu spielen. Der dreiste Vorstoß von FDP-Verkehrsminister Wissing führte anschließend dazu, das eFuels, für deren ineffiziente und hochpreisige Produktion bislang lediglich eine kleine kommerzielle Pilotanlage in Chile existiert, eine bizarre Orchideenexistenz innerhalb der Mobilitätsstrategie der EU fristet.
"Technologieoffenheit" blockiert ökologische Modernisierung
Richtig verstandene Technologieoffenheit meint ziemlich genau das Gegenteil dessen, was den Fossil-Lobbyisten Wissmann antreibt: nämlich die Möglichkeit, viele technologische Innovationsprojekte möglichst lange offen zu halten, um eine fatale Pfadabhängigkeit wie bei den fossilen Energien (Benzin, Kohle, Erdgas) zu verhindern. Technologieoffenheit à la FDP zielt also darauf ab, unter dem Vorwand technologischer Aufgeschlossenheit alte Technologien und Infrastrukturen am Leben zu erhalten, so dass Gewinninteressen der fossilen Industrien so lange wie möglich bedient werden können. Technologieoffenheit im Sinne eines verantwortungsbewussten Zukunftshandelns bedeutet, möglichst alle technologischen Neuerungen fortzuentwickeln, die der Dekarbonisierung von Industrie und Handel und der Aufrechterhaltung der Biodiversität dienen. Hierzu zählen selbstverständlich auch Technologiesegmente, die indirekt die Dekarbonisierung voranbringen, beispielsweise Digitalisierung und der Datenverarbeitung.
In Cem Özdemirs „Bio-Strategie 2030“ ist von technologischem Aufbruch leider wenig zu lesen. Das hat jedoch nur indirekt mit der Politik des Umweltministers zu tun. Unvermeidlich ist mittlerweile die Prüfung von Innovationspfaden, die sich um Trends wie Crispr CAS beziehungsweise neue genomische Verfahren (NGT), Vertical Farming, Precision Farming, alternative Eiweiße und Stickstoffalternativen gruppieren. Hier kommt leider erneut die FDP ins Spiel. Laut Koalitionsvertrag sollte das Projekt „30 Prozent Bio in der Ernährung bis 2030“ ein zentrales Konsensprojekt der Ampel-Koalition sein. Doch das FDP-geführte Forschungsministerium bestand bis zuletzt kategorisch darauf, dass sich die Bio-Branche für neue genomische Züchtungstechniken öffnen müsse.
Gentechnik in der Landwirtschaft bislang nur ein Papiertiger
Wir sind hier zum wiederholten Mal mit einer Technologieoffenheit der besonderen Art konfrontiert. „Freiheitliche“ Forschungspolitik, die auf einer fragwürdigen Erkenntnisgrundlage in übergriffiger Weise Technologien oktroyieren möchte. Die Entgegnung des Landwirtschaftsministeriums: Eine Verankerung von Gentechnik in einer Bio-Strategie sei den Konsumenten wie Produzenten einstweilen nicht vermittelbar. Der Landwirtschaftsminister entschied sich daraufhin, die Bio-Strategie 2030 ohne Zutun des Forschungsministeriums trotzdem auf den Weg zu bringen. Ein typisches Beispiel dafür, wie mangelnde Konsensfähigkeit bedeutsame Aspekte für eine zukunftsoffene Forschung ausblendet.
Es ist schlicht sinnlos und ein Zeichen ideologischer Wirklichkeitsverdrehung, die klimarelevante Weiterentwicklung einer Biolandwirtschaft von einem isolierten Thema abhängig zu machen. Nach wie vor existieren die Fortschritte mit Crispr CAS nur auf dem Papier, die viel beschworenen klimaresistenten Züchtungen mittels der Genschere gibt es schlicht noch nicht. Andererseits ist es wichtig, dass die EU im Sommer 2023 die Bedingungen für die Erforschung von genoptimiertem Saatgut verbessert hat. Das engstirnige Insistieren auf „bahnbrechende Trends“ – wir denken noch einmal an die absurden eFuels - erweist sich als destruktive Blockade nachhaltiger Fortschritte.
30 Maßnahmen für mehr Bio
Mit der „Bio-Strategie 2030“ liegt folglich ein fragmentierter Zukunftsentwurf vor. Das, was sie beleuchtet, hat jedoch Hand und Fuß. Es geht darum, die Biolandwirtschaft als wichtigen Zukunftsmarkt angesichts planetarer Grenzen weiterzuentwickeln. Landwirtschaftsminister Özdemir verwies bei der Präsentation der Studie auf Innovationen wie die Entwicklung von Hülsenfrüchten, praktische Methoden zur Unkrautbekämpfung und den Direktvertrieb durch Bio-Kisten. Die Biostrategie ziele außerdem darauf ab, den ländlichen Raum zu stärken und die Wertschöpfungskette „vom Acker über die Mühlen bis hin zu den Köchen“ zu fördern. Es sei auch zu bedenken, dass für die Erfüllung des Ziels, Gemeinschaftsverpflegungsstellen auf Bio umzustellen, deutlich mehr Biolandwirtschaftsproduktion benötigt werde, als es auf den ersten Blick erscheine.
In anspruchsvollen 30 Punkten geht es unter anderem darum, die Potenziale der ökologischen Grünlandbewirtschaftung zu vermitteln; die biologische und genetische Vielfalt der Agrarlandschaft muss gefördert werden. Darüber hinaus brauchen wir deutlich mehr Biolandwirt:innen, dafür müssen regional- und standortbezogene Umstellungskonzepte schmackhaft gemacht werden. Im Handumdrehen wird das nicht gelingen, denn auf vielen Prozessebenen sind keine regionalen Strukturen mehr vorhanden und müssten renoviert oder neu geschaffen werden. Bioprodukte in der Außerhaus-Verpflegung, so ein weiterer ökologischer Markstein, sollen Standard werden und gesunde Ernährung breitflächig etablieren. Einrichtungen, die mit Bio in ihren Küchen starten oder den Bio-Anteil auf mindestens 30 Prozent des monetären Wareneinsatzes erhöhen wollen, werden angehalten, finanzielle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Das umfassende Maßnahmenprogramm unterstreicht, dass es vor allem darum geht, nachhaltigen biologischen Anbau in der Öffentlichkeit endlich sichtbarer zu positionieren und die Datenbasis in Forschung und Produktion zu verbessern.
Mit EU-Milliarden raus aus der Nische
Wo kommt das Geld her für die Agrar-Transformation? Zur Unterstützung des ökologischen Landbaus werden umfangreiche EU-Fördermittel bereitgestellt, einschließlich 2,6 Milliarden Euro für den Zeitraum 2023 bis 2027. Diese Mittel stammen vorrangig aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und der nationalen Mitfinanzierung. Zusätzlich wurden für die GAP-Periode (die zehn Ziele der EU im Sinne einer „Gemeinsamen Agrarpolitik“) „Öko-Regelungen“ als neues Förderinstrument etabliert, wobei für Deutschland knapp fünf Milliarden Euro vorgesehen sind. Diese Regelungen gestatten es sowohl konventionellen als auch ökologisch wirtschaftenden Betrieben, jährlich Fördermittel für agrarumwelt- und klimabezogene Interventionen zu beantragen. Laut „Lebensmittelzeitung“ vom 24.11.2023 stehen in den kommenden außerdem fünf Jahren 18 Millionen Euro für Praxis-Forschungsnetzwerke bereit, in denen resiliente Produktionssysteme für die Ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft weiterentwickelt werden sollen.
Die „Bio-Strategie 2030“ befreit die Branche aus den Zuschreibungen des Esoterischen, Elitären und Subkulturellen. Biolandwirtschaft und -ernährung ist auch kein Nischenmarkt für den gedeckten Tisch der Besserverdienenden, sondern unverzichtbarer Bestandteil der sozial-ökologischen Transformation der europäischen Landwirtschaft.
Technologie- und Zukunftsoffenheit werden durch die Studie keinesfalls gekappt. Es kommt jetzt darauf an, mit kompetenten Partnern eine zielführende Auseinandersetzung um Gentechnik, Dekarbonisierung und agrarische Resilienz zu beginnen.