Die Versuchsanordnung steht. Die Kernfusion könnte das Energieproblem für CO2-neutralen Stahl lösen. Namhafte US-Unternehmen investieren immer größere Summe in die Technologie. Skeptiker sehen die Kernfusion als Begleitforschung für den Bau von taktischen Atomwaffen. Am Ende fehlt es am Grundsätzlichen: dem Treibstoff für die Kernfusion.
Die Vision einer CO2-neutralen Stahlerzeugung erfordert enorme Energie, wodurch erhöhter Bedarf an Energiequellen wie der Kernfusion entsteht, die Einschränkungen und Engpässe der heutigen Erneuerbaren- und Batterietechnologien überwinden könnte. Doch die Mehrzahl der Experten geht nach wie vor davon aus, dass eine kommerzielle Kernfusion noch Jahrzehnte auf sich warten lassen wird.
Nucor, der größte Stahlproduzent der USA, und das Startup Helion Energy planen die Entwicklung eines 500-Megawatt-Fusionskraftwerks, das bis 2030 in einem der US-Stahlwerke von Nucor errichtet werden soll. Sie lesen richtig: in einem Stahlwerk, denn es macht Sinn, die Energie der Zukunft dort zu positionieren, wo sie gebraucht wird. Diese Menge an Fusionsenergie würde ebenfalls ausreichen, um einige Hunderttausend Haushalte mit Strom zu versorgen (also etwa so viel wie ein herkömmliches Kraftwerk).
Nucor investiert 35 Millionen US-Dollar in die Arbeit von Helion, das von Open AI-Boss Sam Altman unterstützt wird. Der Deal ist eine Wette auf Kernfusion, eine Technologie, die bislang eher in der Science-Fiction als in der Wissenschaft stattfand und bisher keine Kilowattstunde an Strom produziert hat. Die Kooperation unterstreicht, dass Nucor und viele andere Firmen verzweifelt nach sauberem Strom suchen, um umweltfreundliche Produkte herzustellen, aber mittlerweile aufgrund des Mangels an ausreichend vorhandener Wind- und Solarenergie an Grenzen stoßen.
Energiegewinnung aus der Kernfusion, wirklich?
Was ist eigentlich Kernfusion? In Kernkraftwerken entsteht die Energie durch das Spalten des Atomkerns, wodurch allerdings auch radioaktiver Abfall entsteht. Bei der Fusion kommen Laser zum Einsatz, mit deren Hilfe extrem hohe Temperaturen erzeugt werden. Auf diese Weise werden kleine Atomkerne zu größeren verschmolzen - dabei entsteht tatsächlich Energie. Mehr als hundert Millionen Grad Celsius wirken dabei für Nanosekunden auf den Brennstoff ein.
„Wir wollen nicht abwarten und auf all diese Technologien warten und hoffen, dass sie entwickelt werden“, erklärte jüngst Leon Topalian , CEO von Nucor. In Kalifornien gelang es dem Lawrence Livermore National Laboratory, durch Kernfusion mehr Energie zu erzeugen, als für das Experiment aufgewendet wurde. Nach dem lang erwarteten Durchbruch im Dezember 2022 fließt gerade frisches Geld in die Kernfusion.
Ende Juli wurde die Energiegewinnung durch Kernfusion in einem weiteren Versuch bestätigt, das Ergebnis war sogar eine Verdoppelung der Energiegewinnung. Wer jetzt glaubt, die große Lösung all unserer Energieprobleme stünde unmittelbar bevor, sollte sich jedoch klarmachen, dass die experimentell erzeugte Fusionsenergie leider noch Lichtjahre davon entfernt ist, Strom für Haushalte, Stahlwerke oder ähnliches in Reaktorform zu liefern. Der erzeuget Energieüberschuss, das entlarvte ein genauerer Blick auf das Experiment, bestand aus sogenannten schnellen Neutronen, die zur Stromerzeugung gar nicht genutzt werden können.
Doch auch Microsoft hofft, dass die Kernfusion deutlich früher möglich wird als bislang erwartet. Deswegen hat der Software-Konzern ebenfalls eine Partnerschaft mit Helion gestartet, bei der bis 2028 durch Fusion erzeugter Strom für Microsoft produziert werden soll. Der Microsoft-Deal, vermutlich der erste kommerzielle Vertrag der Fusionsindustrie, wurde im Mai abgeschlossen. Und Helion Energy ist nicht das einzige Unternehmen, das sich einen derart ehrgeizigen Terminplan gesteckt hat. Commonwealth Fusion Systems (ein Startup, hervorgegangen aus der Fusionsforschung am MIT) ist gerade dabei, eine kleinere und billigere Anlage zu bauen. Der Prototyp soll Hunderte von Millionen US-Dollar statt einige Milliarden kosten und in wenigen Jahren fertig werden. Die ersten Bauarbeiten dazu laufen bereits.
Der erste internationale Kernfusionsreaktor ITER wird zurzeit in Cadarache in Südfrankreich gebaut. Dieser sollte ursprünglich 2025 erstmals mit Plasma gefüllt werden, der Plan hat sich jedoch verzögert, da bei der Anlage an zentralen Komponenten Schäden aufgetreten sind. Dennoch wird damit gerechnet, dass ITER wie bisher anvisiert 2035 erstmals Strom erzeugt.
Trendbriefing
• Nicht genügend Rohstoff: Die Kernfusion im Labor läuft nicht - so eine oft zu lesende Behauptung - wie in der Sonne ab. Dort wird Wasserstoff mit Wasserstoff fusioniert. Kernfusion im Labor braucht dagegen das Zehnfache an Energie. Dafür bislang unverzichtbar ist Tritium, ein schwerer Wasserstoff, von dem es überhaupt nur wenige Kilogramm auf der Erde gibt. Der ITER in Südfrankreich würde allein für den Startprozess bereits den gesamten Weltvorrat an Tritium verbrauchen. Versuche, Tritium synthetisch herzustellen, misslangen bislang. Möglicherweise lässt sich das begehrte radioaktive Material auf dem Mond finden.
• Zu spät für die Energiewende: Bis die Kernfusion auch nur annähernd im industriellen Maßstab nutzbar ist, werden noch mehrere Jahrzehnte vergehen (auf jeden Fall bis 2050). Bis dahin muss jedoch die Energiewende abgeschlossen sein. Mit Erneuerbaren Energien sind die Ziele – bei entsprechendem Ausbaugeschwindigkeit – nach wie vor risikoneutral und zu deutlich niedrigeren Kosten erreichbar.
• Steile Wetten auf eine ferne Zukunft: Woher kommt der Optimismus der Unternehmen? Das finanzielle Engagement großer Konzerne ist eine steile Wette auf die Zukunft, um von technologischen Durchbrüchen wann auch immer profitieren zu können. Ob in der militärischen oder der zivilen Nutzung, spielt für Nucor, Microsoft und andere keine Rolle. Mit Blick auf den sich zuspitzenden Klimawandel ist es aber mit Sicherheit sinnvoller, in den beschleunigten Zubau der Erneuerbaren zu investieren, da sie ausgereifte und preiswerte Technologien darstellen.
• Mögliche militärische Nutzung: Das Lawrence Livermore National Laboratory kann mit seinen gigantischen Magneten Temperaturen erzeugen, die einer Atombombenexplosion gleichen. Skeptiker schließen daraus, dass die Kernfusion als Begleitforschung für die Atomwaffenentwicklung dient. In den Labors ließen sich so Bedingungen simulieren, die den Bau von taktischen Atomwaffen - ohne praktische Atomwaffenversuche - vereinfachen.