CCS (Carbon Capturing and Storage), das industrielle Abscheiden und Speichern von Kohlendioxid (CO2), ist in Deutschland praktisch verboten. Trotzdem machte Wirtschaftsminister Habeck Ende 2022 den Weg frei für ein CO2-Endlager in Norddeutschland. CO2 könnte dort in ausgebeuteten Erdgas-Lagerstätten oder unter dem Meeresboden eingelagert werden. Bisher wurden vor allem Transporte des Klimagases nach Norwegen oder in die Niederlande diskutiert. Habecks Vorstoß dient der viel beschworenen Technologieoffenheit: Deutschland soll weiter in Kontakt mit der CCS-Technologie bleiben, nicht zuletzt um Unternehmen den Zugang zu einem entstehenden CCS-Markt nicht zu verbauen.
Überall, wo CO2-Abscheidung und -Verpressung auf die Tagesordnung kommt, sorgt sie für Konflikte. Die SPD lehnte im Mai größere Investitionen in CCS ab. Begründet wurde das Nein mit möglichen daraus folgenden Wettbewerbsnachteilen für die Erneuerbaren. Die Grünen dagegen planen vor der nächsten Bundestagswahl noch stärker in die politische Mitte zu rücken und auch für Wähler abseits des Umweltlagers wählbar zu werden. Auch deswegen signalisierte Habeck, u.a. mit Reisen zu CCS-Anlagen in Norwegen, dass sich die Grünen auf die umstrittene Technologie einlassen sollten. Doch die Zweifel der Grünen Basis sind erheblich. Die Sorgen um die Risiken der Technologie (Wiederaustritt des Klimagases) sitzen tief.
Derweil bestätigen die Mehrzahl der Klimaexperten und die Internationale Energie Agentur (IEA), federführend für den Fahrplan der Dekarbonisierung bis spätestens 2050, dass CCS für das Erreichen von Netto-Null-Emissionen unverzichtbar sei.
Tatsächlich lässt sich mittels CCS der CO2-Ausstoß fossiler Kraftwerke senken. Während konventionelle Steinkohlekraftwerke in einer Lebenszyklusanalyse einen CO2-Ausstoß von 790–1020 Gramm pro Kilowattstunde aufweisen, liegt der prognostizierte Ausstoß eines CCS-gedimten Kraftwerks bei gut der Hälfte (dabei aber immer noch deutlich höher als bei Erneuerbaren Energien).
Der größte Haken an der Sache: CO2-Abscheidung und -Speicherung lässt sich als Technologie nach wie vor nicht störungsfrei reproduzieren. In der Regel müssen die Anlagen in hohem Maße an örtliche Gegebenheiten angepasst werden, was Planungsunsicherheiten birgt und zusätzliche Kosten aufwirft. Das Gorgon-Projekt auf den australischen Barrow Islands ist das zurzeit erfolgversprechendste CCS-Projekt und konnte im vergangenen Jahr immerhin 1,6 Millionen Tonnen CO2 in die Erde verpressen, geplant war allerdings die Einlagerung von vier Millionen Tonnen. Häufig sind es technische Details, die im Umgang mit dem abgeschiedenen CO2 anfallen. Das extrem flüchtige Gas lässt sich nach wie vor kaum zielsicher unter die Erde bringen.
Das Unternehmen, welches das Gorgon-Projekt betreibt, ist Chevron, der zweitgrößte Öl- und Gasproduzent der USA. Chevron möchte mit Gorgon vom Saulus zum Paulus werden und investiert, trotz vieler Rückschläge, erhebliche Summen. Viele Gelder kommen jedoch auch aus Biden’s Infrastrukturprogramm, das auch satte Steuererleichterungen für umgesetzte CCS-Projekte verspricht. Chevron verlässt sich auf eine eigene Technologie, die bereits in den 1970er Jahren entwickelt wurde. Damals nutzte man die CO2—Verpressung, um in Gesteinsschichten zusätzliches Öl oder Erdgas zu gewinnen. Naturschützer und Umweltexperten warfen Chevron bereits 2019 vor, das kostenintensive Gorgon-Projekt herauszuzögern und dabei Millionen an australischen Steuergeldern zu verbrennen.
Laut BloombergNEF Data haben Regierungen und Unternehmen in den vergangenen 30 Jahren mehr als 83 Milliarden US-Dollar in die Abschiebung und Speicherung von CO2 investiert. Bis zum Ende der 2020er Jahre sollen weitere 4,5 Billionen US-Dollar in eine Technologie investiert werden, bei der nach wie vor nicht gesichert ist, ob sie überhaupt in industriellem Maßstab funktioniert.
Die Vorbehalte lassen sich nur schwer entkräften. Im vergangenen Jahr konnten lediglich 0,1 Prozent der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen durch Carbon Capture entfernt werden. Umweltgruppen befürchten, dass das CCS Mineralölkonzernen und anderen CO2-Emittenden vor allem als Feigenblatttechnologie für die Fortführung der fossilen Wirtschaft dient. Vulgo: Wenn CCS funktioniert, dann können wir weiterhin Kohle, Erdgas und Benzin verbrennen. Mehr noch: Die Ölmultis gehen davon aus, dass sie in dieser Konstellation gleich doppelt verdienen: an der Fortführung der fossilen Energieträger und an der Weiterentwicklung der CCS-Technologie. Alles bleibt beim Alten, und die Mineralölkonzerne gerieren sich als Retter der Welt.
In Großbritannien ist CCS fester Bestandteil des Klimafahrplans bis 2030. Im Vereinten Königreich sollen jährlich 20 bis 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid (entspricht dem Ausstoß von 15 Millionen Autos) unterirdisch oder unter dem Meeresboden gespeichert werden.
Im Kontrast zu den anderen G7-Staaten investiert Japan nur moderat in Wind und Solarenergie. Die Kohle-Kraftwerke sollen weiter am Netz bleiben, aber durch CCS-Anlagen deutlich weniger Kohlendioxid ausstoßen. Der Plan für den Hochlauf ist mehr als sportlich: Bis 2050 sollen 60 Anlagen von der Größe Gorgons gebaut werden. Toshiba, das sich verpflichtet hat, sich nicht mehr an dem Bau von Kohlekraftwerken zu beteiligen, hat auf der Insel Kyushu eine CCS-Anlage mit einem Biomasse-Kraftwerk verkoppelt, in dem Palmkernschalen verbrannt werden. Mittels der Gasabscheidung soll die Anlage, die bereits regenerative Energie produziert, negative Emissionen ausweisen.
Japan geht ein hohes Risiko ein, indem es fast ausschließlich auf die (unfertige) CCS-Technologie setzt. Zahlen belegen das: Einer McKinsey-Studie zufolge schafften es gut zwei Drittel der CCS-Produktionsanlagen, die zwischen 1995 und 2018 gebaut wurden, nicht in den Regelbetrieb. Und laut IEA sind weltweit zurzeit lediglich 40 Produktionsanlagen am Start. Verglichen damit, wie exponential der Zubau an Solarenergie vonstatten geht, ein zu vernachlässigende Größe.
Soll es eine Zukunft für CCS geben, müssen die folgenden Trends beachtet werden:
Trendbriefing
• CCS marktfähig und vernetzt: CCS muss sich zeitnah als reproduzierbare Technologie etablieren. Weltweit warten rund 25.000 Industrieanlagen darauf, dass Kohlendioxid-Abscheidung funktioniert. Um Anreize für industrielle Partnerschaften zu schaffen, sollte CCS künftig als integrativer Bestandteil industrieller Produktion verstanden werden. Das beinhaltet, dass CCS-Anlagen nur zu Beginn subventioniert werden sollten. Zusätzliche Geschäftsmodelle könnten dafür sorgen, dass Unternehmen CCS als Teil von Wertschöpfungsinnovationen sehen.
• Grüne Produkte forcieren: Vereinbarungen, wie beispielsweise die Bestellgarantie von grünem Stahl (u.a. von Daimler und Volkswagen in die Tat umgesetzt) oder CO2-freie Baustoffe und Zement tragen dazu bei, dass CCS Teil von industrieller Wertschöpfung wird. Abgeschiedenes Kohlendioxid als Ausgangsmaterial für grünes Plastik, grünes Flugbenzin, Wasserstoff- und Düngemittelproduktion könnten weitere Produkte sein.
• Konkurrenzfähigkeit herstellen: Mit einer deutlich angehobenen CO2-Steuer und der Grenzausgleichsabgabe in der EU erhalten grundsätzlich teurere CO2-freie Produkte schließlich realistische Chancen auf internationalen Märkten.