Bereits vor Beginn der Pandemie dämmerte einigen US-amerikanischen Restaurantbesitzern, dass Restaurants systemrelevant für das Leben vor Ort sind. Landesweit operierende Lieferservices, die Essen zu den Kunden bringen, entpuppten sich während Corona als Rettungsanker der Gastronomie, rufen aber astronomische Gebühren auf. Seitdem erblühen lokale Bringdienste, weil sie gut sind fürs Geschäft und die Community - und sogar die Fahrer ordentlich bezahlen.
Spätestens seit Corona sind Essens-Bringdienste, die via Apps als digitale Plattformen funktionieren, ein Überlebensfaktor in der Gastronomie. Und nichts was hierzulande Delivery Hero oder Lieferando und in den USA GrubHub, DoorDash oder UberEats technologisch auf die Beine stellen, lässt sich nicht auch lokal geerdet „nachbauen“. Letzten Endes bestand der Grund für die kleine, aber bemerkenswerte Graswurzelrevolution beim food-delivery im ersten Corona-Jahr in den USA darin, dass die nationalen Anbieter mit Gebühren bis zu 30 Prozent den Restaurants die Luft zum Atmen nahmen.
Warum das Geld, das bei den – gerade durch Corona boomenden – Lieferservices verdient wird, an die milliardenschweren Investoren im Silicon Valley überweisen, wenn sich vor Ort mit relativ geringem Aufwand ähnliche Modelle entwickeln lassen? Hierzu gehören Ideen, die keine oder deutlich geringere Gebühren von Restaurants fordern, dafür zufriedene Kunden zahlen lassen, oder Abo-Modelle, bei denen Restaurants moderate monatliche Gebühren zahlen.
Der Charme des Ganzen besteht – wie immer bei intelligenten Aktionen vor Ort – vor allem darin, dass nahezu alle Teile der Wertschöpfung in der Region bleiben: places matter!
Eine wichtige Voraussetzung, damit die lokalen Lieferservices vor Ort in der Pandemie gedeihen konnten: In den USA wurde im vergangenen Jahr die Hälfte des Gesamtumsatzes im Restaurant- und Verpflegungssektor (gigantische 659 Milliarden US-Dollar!!) von unabhängigen Kleinbetrieben erwirtschaftet. Da ist es naheliegend, über – digital gestützte – Liefermodelle vor Ort nachzudenken. Kaum zu glauben, aber eine aktuelle Studie zu den Lieferservices in den USA kam zu dem Schluss, dass viele der lokalen Anbieter ihre Lieferfirmen vor allem deshalb an den Start brachten, um die geschätzte Kultur der lokalen beziehungsweise regionalen Küchen in ihrer Existenz nicht weiter zu gefährden.
Schlürfend GrubHub das Wasser abgraben
Slurpalicious ist einer dieser unabhängigen Bringdienste. Er wurde eigenhändig von Candy Yiu und ihrem Ehemann Akshay Dua in Portland, Oregon, auf die Beine gestellt – Restaurantbesitzer vor Ort, die sich über die astronomischen Gebühren der Liefer-App von DoorDash geärgert hatten. Eine Bestellung bei Slurpalicious kostet die Restaurants – nichts. Die Kunden zahlen sieben US-Dollar für jede Bestellung und 60 Cent für jede Meile, die der Bringdienst bis zur Haustür zurücklegt; die Fahrer verdienen (inklusive Trinkgeld) zwischen 15 und 30 US-Dollar pro Stunde, abhängig von Nachfrage und Tageszeit.
Slurpalicious befindet sich aktuell in Kooperationsverhandlungen mit örtlichen Taxiunternehmen, um das Liefernetz und die Reichweite der alternativen Food-App zu erweitern. Analysten nehmen den Angriff der unabhängigen Lieferservices übrigens durchaus ernst. Einstweilen, so ihre Einschätzung, ist auf dem boomenden Markt der Bringdienste Platz für viele Anbieter. Wechselten jedoch der Großteil der inhabergeführten Restaurants zu den Lieferservices vor Ort, könnte das die Gewinnmargen der UberEats, GrubHubs und DoorDashs schnell in Gefahr bringen.
Mit Künstlicher Intelligenz irgendwo in Iowa Uber den Kampf ansagen
Chomp („Mampfen“) und Nosh („Leckereien“) haben als lokale Konkurrenten von UberEats etc. mittlerweile nationale Bekanntheit erlangt. Chomp liefert die Gerichte von mehr als 100 Restaurants in Iowa City aus, hat damit mehr als 100 Arbeitsplätze geschaffen, in zwei Jahren mehr als 220.000 Bestellungen bearbeitet und damit einen wichtigen Beitrag zum Bestand der Restaurantszene in der Region geleistet. Und lokal heißt nicht low tech: Fahrzeiten und Entfernungen müssen genauestens kalkuliert werden. Das 2017 gegründete Unternehmen setzt Künstliche Intelligenz ein, um die Fahrer zwischen Restaurants und Kunden möglichst effizient zu navigieren. Kommt einmal ein Essen beim Kunden in kaltem Zustand an, kann der Fahrer die Entschädigung direkt mit einem Verantwortlichen in der Zentrale klären. Die Reklamationen bei den nationalen Bringdiensten landen erst einmal in Chicago oder San Francisco.
Auch vor Ort weiß man: Daten sind das Marketinggold der Zukunft
Nosh ist ein Netzwerk, das in dem Moment von Restaurantbesitzern für Restaurantbesitzer gegründet wurde, als die Gebühren der nationalen Lieferservices endgültig zu hoch wurden. NoCo Nosh, also der Bringdienst von Nosh in der Region North Carolina verlangt dagegen lediglich die Hälfte an Gebühren, rund 15 Prozent. Ein ganz entscheidender Vorteil besteht darin, dass die Restaurantbesitzer über Nosh auch Einblick in die Daten und die Bestellgewohnheiten der Kunden erhalten.
LoCo Co-op, hervorgegangen aus Chomp, setzt noch an einem anderen Punkt der neu entstandenen lokalen Lieferservice-Wertschöpfungskette an und versorgt Restaurants, die eigene Bringdienste vor Ort aufbauen wollen, mit Technologien und Beratung. Bislang konnten damit Liefer-Coops in neun US-Städten (unter anderem in Las Vegas, Orlando und Los Angeles) aufgebaut werden. LoCo Co-op ist ein Franchisesystem. Zur Finanzierung einer örtlichen Liefer-Coop vergibt Loco Co-op jeweils 100 Anteilsscheine zu 2.000 US-Dollar; Besitzer mehrerer Restaurants können auch mehrere Anteilsscheine ankaufen. Wer nur Mitglied in der Coop werden möchte, kann auch das tun. Wie bei den nationalen Bringdiensten auch, werden die Bestellungen über eine App abgewickelt. Die selbstständigen Fahrer verdienen zwischen zwölf und 15 US-Dollar und erhalten zu Beginn ein Training im sicheren Umgang mit Lebensmitteln. Auch bei Loco spielt der Zugriff auf die Nutzerdaten eine wichtige Rolle. Kunden können sich freuen, dass das Netzwerk garantiert, Daten nicht an Dritte weiterzugeben.
Fazit, die Gig-Ökonomie muss nicht zwangsläufig aus miesen Löhnen für Zusteller und unsittlichen Gewinnspannen für BigTechs bestehen.