Trotz Spionage- und Trashverdacht bricht das junge Sozialmedium regelmäßig Nutzungsrekorde. Und obwohl die Nutzung für unter 13-Jährige untersagt ist, wir TikTok immer beliebter. Große Unternehmen reagieren und forcieren – nicht nur auf TikTok – so etwas wie „Social Recruiting“.
Am 2. August 2018 präsentierte sich die App TikTok der Nachfolger von musical.ly. Seit diesem Jahr gehört sie zu den sich am schnellsten verbreitenden mobilen Apps der Welt und wurde führende Kurzvideo-Plattform in Asien mit der weltweit größten Playback-Videogemeinde. Laut Reuters vom Mai 2020 verlagert die Mutter ByteDance ihre geschäftlichen Aktivitäten zunehmend ins Ausland. TikTok hat seine Entwicklungskapazitäten in Kalifornien mit der Einstellung von über 150 Spezialisten ausgebaut. Im August 2019 erklomm die TikTok-App mit 63 Millionen weltweiten Downloads Platz 1 der Downloadcharts und überholte WhatsApp. Im November 2018 verbrachten rund 4,1 Millionen monatlich aktive deutsche Tiktok-Nutzer (54 Prozent davon weiblich) durchschnittlich rund 39 Minuten pro Tag in der App. Mittlerweile zeigt auch die Bundeswehr Videos aus dem Alltag der Rekruten oder Borussia Dortmund kommuniziert mit ihren jungen Fans. Anfang Mai 2020 war die App erstmals über zwei Milliarden Mal heruntergeladen worden (obwohl sich die Bundeswehr aus Sicherheitsgründen aus dem Netzwerk zurückziehen musste).
Natürlich hat TikTok den Trend zum „Social Recruiting“ früh erkannt und Features zur Verfügung gestellt, mit denen sich die Nutzer in Form von Video-Bewerbungen direkt an Arbeitgeber wenden können. Gerade in der Corona-Zeit, die für viele Menschen von Kurzarbeit geprägt war, hat das TikTok für Arbeitsuchende interessant gemacht. Aber vor allem auch angesagte US-amerikanische Arbeitgeber wie Chipotle, Target, Alo Yoga, Sweetgreen nutzen die App für ihr Recruiting.
„Soziales Recruiting” setzte bereits Mitte der 2010er Jahre ein, als beispielsweise Taco Bell über die SocialMedia-Plattform Snapchat nach Mitarbeitern Ausschau hielt. 2017 wurde „Snaplication” entwickelt, ein Tool, mit dem dann auch McDonalds auf der Seite rekrutierte. Facebook zog noch im gleichen Jahr nach und ermöglichte es Unternehmen, direkt über den Facebook Messenger „Vorstellungsgespräche“ mit potenziellen Mitarbeitern zu führen.
Hunderte von Kommentaren und 200.000 Views sind keine Seltenheit, wenn Teens und Twens in einem 60-Sekunden-Video ihre Fähigkeiten anpreisen. Die Pubertierenden-Plattform wird zur Jobbörse. Wer geschickt mit Medientechnologien umgehen kann und kompetent vor der Kamera auftritt, kann diese Fähigkeiten nur schwer in einer schriftlichen Bewerbung rüberbringen.
Chipotle nutzt TikTok gleichwertig mit LinkeIn, um Mitarbeiter für seine Filialen anzuwerben. TikTok als Kanal scheint für die Fastford-Kette dabei deutlich spannender, denn auf der SocialVideo—Plattform demonstrieren junge Menschen, wie lecker sie Guacomole zubereiten können, wie geschickt sie mit Küchenmessern beim Fischfilettieren oder beim Dekorieren von Esstischen umgehen können.
Selbst die World Wrestling Entertainment (WWE) benutzt TikTok mittlerweile systematisch und selbstverständlich als Recruiting-Werkzeug: Der Wrestling-Verband sucht nach eigenen Angaben selbstbewusste und extrovertierte Mitarbeiter, die lassen sich sehr gut in den selbstgebastelten Mini-Videos auf TikTok finden. Die WWE suche nicht nach schulischem oder universitärem Background, sondern nach Charisma.
Auch die e-Commerce-Plattform Shopify wendet sich für die Rekrutierung von Technikern und Ingenieuren gerne an TikTok. Die Motivation: Wer dort in kürzester Zeit technische Zusammenhänge auch einem 5-Jährigen erklären könne, der müsse die Technologien verstanden haben. Unternehmen, die über TikTok angesagte Mode und Kosmetik verkaufen möchten, befinden sich jedoch erst einmal im Teststadium, nach wie vor herrscht Skepsis darüber, wer in der Bildervirtualität von TikTok erscheint und wer sich nicht auf dem Portal zu zeigen traut. Farbige oder Menschen mit Übergewicht gehen offensichtlich vorsichtiger mit der Videoplattform um. Ungeklärt ist für viele Unternehmen nach wie vor, ob der Algorithmus von TikTok nicht doch stark vorurteilsbelastet Videos präsentiert.