Gesundheit ist ein teures Gut. Private-Equity-Firmen machen aus vitalen Bedürfnissen margenträchtige Märkte. Momentan wird in den USA die Sehnsucht nach Schönheit ausgeschlachtet. Als nächstes stehen Frauengesundheit, Urologie und die Gastroenterologie (Magenheilkunde) bereit.
Eine der vielen fragwürdigen Innovationen des Neoliberalismus der vergangenen 30 Jahre ist die Privatisierung von Dienstleistungen, die eigentlich zur Daseinsvorsorge gehören. Neben Infrastrukturen, öffentlichen Einrichtungen, Bildung, Kultur, bis hin zu Strom, Wasser und Müll fällt darunter auch die Gesundheitsvorsorge. Die Pandemie legt in den Vereinigten Staaten gerade die Schwächen eines deregulierten und auf Profitmaximierung ausgerichteten Gesundheitssystems offen.
Wie Botox systemrelevant wurde... Werfen wir einen genaueren Blick auf das amerikanische Gesundheitssystem. Wer es nur geschickt genug anstellt, kann in den USA beispielsweise eine schönheitschirurgische Botoxbehandlung als systemrelevant verkaufen. Solche Schönheits-OPs auch während der Corona-Krise an den Mann und die Frau zu bringen, ist dem Klinikunternehmen California Skin Institute gelungen, das laut Bloomberg damit dem Lockdown entging und – als Schönheitsklinik – dreist Unterstützung aus den Staatsgeldern für systemrelevante Berufe beantragte.
Gesundheit ist ein Milliardenmarkt, speziell die Dermatologie und Schönheitschirurgie. Private-Equity-Unternehmen surfen gerade auf dem Boom und kaufen sich längst auch in die Sektoren der Frauengesundheit, Urologie und der Gastroenterologie ein.
Schlanker Staat und konsumierende Mittelschicht... Was hat das mit Neoliberalismus zu tun? Das neoliberale Playbook der Privatisierung von öffentlichen Gütern sieht vor, überall dort Marktmechanismen einzuführen, wo „Wohlstands-Effekte“ eintreten könnten, sprich: die Bevölkerung ein Übermaß an Dienstleistungen und Zuwendungen einfordern könnten. Der Staat, so das Glaubensbekenntnis der Neoliberalen, hat sich bei seinen Ausgaben auf das Nötigste zu beschränken, so dass auch die Steuerlast für die konsumierenden Mittelschichten minimiert werden kann. Gleichzeitig muss der Staat, in der neoliberalen Vorstellungswelt von Margret Thatcher und Ronald Reagan, ein wehrhafter Staat sein, der Unzufriedenheit in der Bevölkerung auch mit polizeilichen Maßnahmen im Keim erstickt. Umverteilung – die Horrorvorstellung für den neoliberalen Wirtschaftslenker – findet nicht statt.
Gesundheit wird zum Geschäftsmodell... Und indem sich der Staat verschlankt und Gesundheitsausgaben radikal kürzt, lassen sich zugleich neue Märkte aufbauen, die die vorhandene „Nachfrage nach Gesundheit“ zum Geschäftsmodell machen. Privatisierungen halten die Staatsausgaben niedrig und konditionieren den Staat, laut neoliberaler Weltanschauung, auf das, was er vor allem zu tun habe: die Tür für immer neue Märkte zu öffnen und die Ökonomisierung des Lebens durchzusetzen. Statt Gesundheit für alle zu ermöglichen, führen die Privatisierungen gerade in der Gesundheitspolitik seit den 1980er Jahren also dazu, dass gesundheitsfördernde Maßnahmen (von der gesunden Ernährung bis zu Wellness) auf den Märkten – für die etablierte Mittelschicht – als Statusleistungen konsumierbar gemacht werden. Doch als konsumierbares Gut für die Bessergestellten wird Gesundheitsvorsorge so gleichzeitig den Bedürftigen entzogen.
In der amerikanischen Dermatologie lässt sich dieses Prinzip in seiner pervertierten Form besonders gut nachvollziehen. Bloomberg hat in einer aufwändigen Recherche und anhand einer Vielzahl von Interviews mit Beteiligten und Geschädigtem den US-Hautarztboom untersucht.
Exklusive Gesundheit für die eitlen Baby Boomer... In den vergangenen fünf Jahren haben Private Equity Firmen wie Goldman Sachs und Blue Mountain Capital in den Vereinigten Staaten zehn Milliarden US-Dollar in Hautarzt-Praxen und -Kliniken investiert. Experten schätzen, dass mittlerweile rund zehn Prozent des Marktes im Besitz dieser Unternehmen ist. Ein wichtiger Anker für diese Goldgräberstimmung findet man laut Bloomberg in der Bedürfnislage der alternden Baby Boomer. Sie litten vor allem an zwei Dingen: Hautkrebs und Eitelkeit.
Gesundheit ist extrem margenträchtig... Das ITZ stuft Gesundheit als einen von 15 Megatrends ein, die in den kommenden 30 bis 50 Jahren viele Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft prägen werden. Für Private-Equity-Firmen ist Gesundheit vor allem ein Blockbuster-Markt, der ordentliche Margen verspricht. Ärzte gehen auf das Angebot der Equity-Strategen gerne ein, weil es ihnen finanzielle Sicherheit garantiert, deutlich mehr Kunden und bessere Marketingmöglichkeiten versprochen werden und die Illusion besserer Behandlungsqualität entsteht.
„Nicht-klinische“ Assets... Bedanken können sich die florierenden Großkliniken bei cleveren Anwälten, die in den vergangenen rund zehn Jahren durchgesetzt haben, dass Unternehmen Arztpraxen und Kliniken aufkaufen können, ohne sie in vollem Umfang zu besitzen. Damit war die Büchse der Pandora geöffnet, denn Investoren brauchen seitdem in den USA kein Arztdiplom mehr, um Inhaber einer Arztpraxis zu sein. Es klingt absurd, aber die Private Equity Firmen kaufen bei diesen undurchsichtigen Deals offiziell tatsächlich nur die „nicht-klinischen“ Assets einer Praxis.
Scorecard für Ärzte... Hat der Investor erste Praxen aufgekauft, kommen in der Regel schnell weitere hinzu, um eine regionale Präsenz aufzubauen, mit der sich Marketing machen lässt. Dass die bessere Behandlungsqualität tatsächlich nur eine Illusion ist, lässt sich am Fall der Advanced Dermatology & Cosmetic Surgery nachvollziehen, dem größten Klinikzusammenschluss auf dem Gebiet der Dermatologie in den USA mit landesweit 150 Dependancen. Als das Projekt zu fliegen begann, führte das Unternehmen eine Scorecard für die Ärzte und Mitarbeiter ein und belohnte einzelne Praxen, wenn die finanziellen Ziele erreicht wurden. Die ließen sich häufig jedoch nur dadurch erreichen, dass deutlich mehr Dienstleistungen am Patienten ausgeführt wurden, als es für dessen Erkrankung eigentlich nötig gewesen wäre. Bei US Dermatology Partners wurde von Ärzten unumwunden verlangt, die Zahl der Beratungsgespräche schlicht zu verdoppeln.
Die Erfindung von „Pre-pre-Cancer“... Nächster Schritt in der Kommodifizierung der US-Dermatologie: die Erweiterung der Anwendungen: Laserbehandlung, Kosmetik, UV-Bestrahlung. Die Wertschöpfungskette wird verlängert: Labore (teilweise als mobile Labore auf Klinikparkplätzen) werden hinzugekauft. Darüber hinaus übernehmen Assistenzärzte Behandlungen, die ihnen rechtlich nicht erlaubt sind. US Dermatology Partners schlug dem noch die Krone, als es so etwas wie ein „Pre-pre-Cancer“-Krankheitsbild kurzerhand erfand. Hinter der obskuren Diagnose verbirgt sich tatsächlich nichts anderes als ungefährliche Muttermale, die in den profitgetriebenen Kliniken mitunter in längeren Therapiezyklen „behandelt“ wurden.
Bei Verkauf werden Behandlungen einfach abgebrochen... Letzter Schritt in der Kommerzialisierung der Medizin: Häufig werden Kliniken nach ersten kommerziellen Erfolgen (20 bis 30 Prozent Rendite in fünf Jahren sollten schon drin sein) einfach an das nächste Private-Equity-Unternehmen weiterverkauft, die dann das Messer ansetzen für weitere „Optimierungen des Geschäftsmodells“. Als DermOne https://dermone.com von Westwind Partners weiterverkauft wurde, kam es vor, dass Praxen und Büros so schnell geschlossen wurde, dass Patienten, die sich noch in Behandlungen befanden, einfach nicht mehr betreut wurden.
Öffnung trotz Pandemie erzwungen... Letztes Kapitel in einer ganzen Kette an Dreistigkeiten: Die unter finanziellem Druck stehende Klinik Advanced Dermatology weigerte sich während des Lockouts (ähnlich wie oben an einem anderen Fall geschildert), seine Praxen zu schließen. Ärzte wurden sofort nach Ausbrechen der Pandemie angewiesen, in Vollzeit zur Verfügung zu stehen. Patienten-Kunden wurden trotz Quarantäne aktiv angerufen und auf ihre Behandlungstermine hingewiesen, obwohl Social Distancing in vielen Behandlungsräumen laut Aussagen von Ärzten nicht zu garantieren war. Advanced Dermatology hat sich dann auch an den beantragten Geldern des „Cares Act“ bereichert. Die Millionen, die an das fragwürdige Gesundheits-Unternehmen flossen, waren als Unterstützungsleistungen für Ärzten und Krankenpfleger während der Pandemie gedacht. Advanced Dermatology schaffte für das Geld nach eigenen Angaben Schutzmasken an – und nutzte die Beihilfen ansonsten als Schmerzensgeld für die (vermeintlichen) Einnahmeverluste während der Pandemie.