The Northface schaltet keine Werbung mehr bei Facebook, andere folgen. Auch in Deutschland beginnt die Branche, über toxische Werbeumfelder und „Haltung“ zu reden.
Nach Jahren des Nichtstuns seitens der Konsumgüterhersteller haben in den USA jetzt die „Black lives matter“-Bewegung und der US-Wahlkampf einiges in Bewegung gebracht. Vergangene Woche stieg der Outdoor-Hersteller The Northface komplett bei Werbeschaltungen auf Facebook aus. Damit zieht der erste größere Kunde Konsequenzen aus Marc Zuckerbergs zögerlicher Reaktion, was Hate Speech und Desinformation auf seinem Socialmedia-Kanal angeht.
“We're in”, The North Face tweeted. "We're out @Facebook #StopHateForProfit.", tweetete das Unternehmen. North Face wird bis auf weiteres auf Facebook und Instagram keine Werbung mehr schalten. Einen Tag später zog das Unternehmen REI, eine Outdoor-Equipment-Händler, ebenso nach wie Upwork, ein Recruiting-Unternehmen. The North Face gehört zur VF Group, mit einem Jahresumsatz von 11,811 Milliarden US-Dollar und insgesamt 69.000 Mitarbeitern eine der größten Modehersteller der Welt. Eine Woche später reagierte mit Patagonia ein weiterer Outdoor-Anbieter und zog sich von Facebook zurück. Die VF Group hat angekündigt, dass weitere Facebook-Boykotte von weiteren Marken der Unternehmensfamilie folgen könnten. Zum Markenimperium gehören unter anderem Vans, Timberland, Wrangler, Maverick, Eastpak und Nautica.
Zuckerberg wurde von langjährigen Mitarbeitern Feigheit im Umgang mit Hate Speech und vor allem mit dem US-Präsidenten Trump vorgeworfen. Aber auch hier kam Mitte Juni einiges in Gang. So wurde auf Facebook eine Wahlanzeige Trumps gelöscht, die unter anderem Nazisymbole verwendete.
Werbeschaltungen machen bei Facebook (bei Google ist es ebenso) fast den gesamten Umsatz des Konzerns aus, der im ersten Quartal 2020 bei rund 17,7 Milliarden US-Dollar lag. Der Datenskandal um Cambridge Analytica offenbarte, dass Facebook (aber auch Twitter) im US-Wahlkampf 2016 komplett unkritisch Wahlwerbung Trumps und rechtsradikale Bots zuließen, so dass Socialmedia-Werbung zu einem entscheidenden Eckstein für Trumps Wahlsieg wurde. Dieser Eckstein droht nun wegzubrechen. Facebook (Socialmedia) und Google (Suchmaschinen) beherrschen den weltweiten Markt der digitalen Werbung. Vor allem die beiden Monopolisten sind dadurch auch dafür verantwortlich, dass das Werbegeschäft für traditionelle Medien wie Tageszeitung, Zeitschriften, TV und Radio immer schwieriger wird. Umgekehrt dienen Facebook kostenlose Inhalte aus den klassischen Medien als wichtiges Schmiermittel in der Socialmedia-Kommunikation, während es für die klassischen Medien immer schwieriger wird, aufgrund einbrechender Werbeumsätze die journalistische Qualität aufrecht zu erhalten.
Werbebranche entdeckt ihre politische Verantwortung
Der Druck gegenüber Facebook wächst. Die Schritte der Unternehmen folgen auch den Forderungen hochrangiger Politiker (auch Abgeordnete der Republikaner), darunter die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi, dass Werbetreibende ihre „enorme Hebelwirkung“ gegenüber Social-Media-Unternehmen nutzen sollten, um sie zu zwingen, ihre Verhaltensweisen zu ändern.
Hierzulande findet eine analoge Diskussion statt. Sie zentriert sich um fragwürdige Inhalte der „Bild“-Zeitung. Kürzlich zog deshalb die AOK ihr gesamtes Werbebudget aus der „Bild“ ab. Ein Telekommunikationsgigant wie Vodafone übte im Mai im Branchenblatt „Horizont“ deutliche Kritik an Facebook: „Verschwörungstheorien und massive Desinformation sind die Pest. Wenn sich solche Inhalte auf Plattformen in Milliarden-Reichweite ungehindert Bahn brechen, Wahlen manipulierbar machen und Demokratien gefährden, ist das eine Katastrophe. Da müssen wir als Unternehmen zweimal hinschauen. Und genau das tun wir jetzt auch.“
Für Außenstehende mag es angesichts von Populismus, Hatespeech im Netz und Demokratieverlusten merkwürdig erscheinen – aber Werbung beginnt erst jetzt ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst zu nehmen. Thomas Koch, seit Jahrzehnten ein kritischer Geist innerhalb der Marketing-Community, fordert endlich klare Haltung in der Branche: „Es kann nur eine Konsequenz für verantwortungsbewusste Manager geben. Nur wenn alle ihre Gelder aus „Bild“ abziehen, kann man Reichelt die Plattform für seinen Hass-Journalismus entreißen. Nur wenn alle ihre Werbegelder aus Facebook abziehen, entreißt man Zuckerberg seine gesellschaft- und demokratiezersetzende Plattform. Werte Werbekunden, wenn Sie die Themen Verantwortung und Haltung ernst nehmen, entfernen Sie „Bild“ und Facebook aus Ihren Mediaplänen.“ https://meedia.de/2020/06/12/die-neue-verantwortung/
Trendbriefing
• Die Marketingbranche kann sich der Diskussion um Haltung und populistische Umfelder nicht mehr entziehen.
• Facebook gerät immer mehr in die Defensive, weil es nach wie vor davon ausgeht, dass Socialmedia auch ohne Haltung funktioniert. „#StopHateForProfit“ zwingt Facebook, seine politische Indifferenz zu überdenken.
• „Black Lives Matter“ verändert die USA wie keine soziale Bewegung seit 1968.