Biologie, Lebenswissenschaften und der Megatrend Digitalisierung wachsen immer enger zusammen. Und die Portal-Ökonomie soll für Netzwerk-Effekte und das erlösende neue Geschäftsmodell sorgen.
Die Unternehmensberatung McKinsey zählte in einer Analyse aktuell rund 400 aussichtsreiche Innovationen , die auf der Digitalisierung der Lebenswissenschaften beruhen und außerhalb der Medizin vorangetrieben werden. Zu den neuen Märkten, die sich auf die Impulse dieser „Bio-Revolution“ freuen können, gehören Landwirtschaft, Ernährung, Energie, neue Materialien, schnelldrehende Konsumprodukte und vielfältige Dienstleistungen. Im Grunde ist damit ein Großteil derjenigen Dinge zusammengefasst, die unseren Bedarf des täglichen Lebens ausmachen.
Klingt auf den ersten Blick nach einer neuen rettenden Megatrendentwicklung, mit der wir solch komplizierte und eskalierte Entwicklungen wie den Klimawandel, soziale Ungleichheit und medizinische Unterversorgung auch – wie die Corona-Pandemie traurig vor Augen führt – in OECD-Staaten, bearbeiten können.
Die nächste große Herausforderung ist die nächste große Bedrohung
Auf der anderen Seite ist für jeden sofort nachvollziehbar, dass die enge Verknüpfung von Lebenswissenschaften und Informationstechnologie fundamentale Fragen aufwirft. Wenn Menschen in diesen Prozessen ihre Daten zur Verfügung stellen, was geschieht dann mit den Daten? Wenn durch die Verknüpfung von Biotechnologie und Informationstechnologie Grenzen des bislang Machbaren niedergerissen werden können, wird dann menschliches Leben und unsere Ökologie im Allgemeinen nicht beliebig manipulierbar und wer definiert hier die Grenze?
Für die sich abzeichnende Disruption ist neben Bio- und Datentechnologie schließlich noch ein dritter Faktor wichtig: die so genannte Plattform-Ökonomie. Umsätze werden auf den digitalen Plattformen nicht mehr nur durch das Produkt X oder die Dienstleistung Y erzielt, sondern dadurch, dass ein innovatives Unternehmen digitale Netzwerke aus Zulieferern, Programmierern, Kunden, Medien, spezialisierten Startups bis hin zu (ehemaligen) Konkurrenten knüpft. „Netzwerk-Effekte“ auf diesen Plattformen sind Mehrwerte, die entstehen, wenn das Unternehmen beispielsweise seinen Kontakt zum Kunden via digitale Plattform intensiviert: Nutzt der Kunde ein Medikament oder ein medizinisches Gerät, kann das Unternehmen den Kunden über seine digitale Plattform frühzeitig beim Umgang mit den Produkten beobachten und beraten. Der Netzwerk-Effekt besteht dann darin, dass ein Gerät schneller den Bedürfnissen der Kunden angepasst werden kann – das verspricht präzisere Prozesse und Personalisierungen, die idealerweise für verbesserte Produkte und zufriedene Kunden sorgen.
Mit Molekularkompetenz die Welt retten
Wie wird sich die „Bio-Revolution“ konkretisieren? Viele Forscher gehen davon aus, dass es für solch disruptive Entwicklungen durch biologische, respektive medizinische Neuentwicklungen nicht einmal die Gentechnologie brauche. Vielmehr lasse sich ohne Genmanipulation, aber durch die intelligente Verknüpfung von Bio- und Informationstechnologie (wobei auch Künstliche Intelligenz eine signifikante Rolle spielen wird) auf digital intelligenten Plattformen mindestens 50 Prozent des Wertes der Bio-Revolution heben. Zur Einordnung: Allein im Jahr 2018 wurden 20 Milliarden US-Dollar in die Digitalisierung der Biologie investiert.
Ein Unternehmen wie corebiom.com aus Minnesota arbeitet mit aufwändigen Computermodellen und Biokompetenz unter anderem daran, die Entwicklungsbedingungen von Pflanzen und Tieren zu optimieren, sowie Saatgut zu „designen“, das sich besser den Bedingungen des Klimawandels anpasst. Selbstlernende Systeme durchforsten den Genstatus eines Samenkorns und entwerfen neue Baumöglichkeiten für Saaten in der Zukunft. Seine visionären Ergebnisse kann das Unternehmen nur liefern, weil es sich als wissenschaftliche und offene Digitalplattform aufgestellt hat, auf der unterschiedliche Experten vereint an bahnbrechenden Lösungen arbeiten.
Was die Digitalisierung der Agrarforschung in Zukunft so wichtig macht, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Züchtung einer neuen Tomatenart – mit herkömmlichen Methoden – bis zu zehn Jahre dauern kann. Wie durchlässig die Grenzen in der neuen Biowissenschaft mittlerweile sind, zeigt sich an der Vernetzung von Corebiom. Corebiom ist eine hundertprozentige Tochter von OraSure, das jedoch keine landwirtschaftlichen Lösungen entwickelt, sondern unter anderem Tests für die Aids- und Hepatitis-Therapie herstellt.
Auch wenn sich diese „Bio-Revolution“ klar von Genmanipulation unterscheidet und auf vielen Gebieten tatsächlich zu nachhaltigen Lösungen führen wird, wird eine Diskussion über Grenzziehungen und Regulierungen aus ethischen Gründen nicht ausbleiben.
Es ist jetzt schon klar, dass in den kommenden Jahren auf die folgenden sechs Fragen insbesondere von beteiligten Unternehmen, plausible Antworten gefunden werden müssen:
- Werden Grenzen hin zum Kloning überschritten?
- Was geschieht mit persönlichen Daten im digitalen Gesundheitssektor?
- Sind WorstCase-Anwendungsszenarien sicher auszuschließen?
- Existieren Vorkehrungen, dass sensible Daten nicht von Dritten monopolisiert genutzt werden dürfen?
- Lässt sich überhaupt Vertrauen für die Bio-Revolution in der Bevölkerung herstellen?
- Gibt es "Nebeneffekte" von an sich positiven Bio-Innovationen?