Fake News können Wahlen entscheiden und jahrhundertealte Demokratien ins Wanken bringen, wie wir in USA und UK gesehen haben. Die Finnen machen es vor, wie man sich gegen toxische Desinformation wappnet. Grundvoraussetzung: Leselust.
Finnland hat immer gute Ideen. Das Schulsystem ist weniger elitär als das deutsche, bringt aber besser ausgebildete Menschen hervor (und ist in vielem doch nur eine ideologiebefreite Kopie des DDR-Bildungssystems). In Finnland spielt Ungleichheit – im Gegensatz zu den meisten westlichen Industriestaaten – kaum eine Rolle. Helsinki gehört zu den Metropolen mit der höchsten Lebensqualität. Und auch das Thema Klimawandel wurde in dem nordeuropäischen Vorzeigeland schon früh erkannt.
Finnland: Wohlstand durch Bildung
Laut einer Studie der European Policies Initiative zahlen sich die Maßnahmen aus. Finnland liegt auf Platz eins bei dem internationalen Ranking, das Lesefähigkeit und den Umgang mit Sprache bewertet. Weitere vordere Plätze gibt es bei Geschlechtergerechtigkeit, Transparenz und sozialer Gerechtigkeit. Insgesamt führt das zu Platz eins im internationalen Glücks-Index (den man vielleicht besser Zufriedenheits-Index nennen sollte). Und es gibt definitiv einen Zusammenhang zwischen diesen positiven Werten und Finnlands Platz zwei im Ranking der Pressefreiheit. In Finnland werden Zeitungen so intensiv wie sonst nirgendwo gelesen und die Presse wird geschätzt und macht gute Arbeit.
Was mich an den Finnen aber am meisten beeindruckt: Wenn sie eine Gefahr heraufziehen sehen, dann ergreifen sie umgehend Maßnahmen, um Gesundheit, Sicherheit und Wohlbefinden der Bevölkerung zu garantieren.
Das tun sie seit längerem beispielsweise bei der Fake-News-Epidemie. Schon seit 2014 – also lange bevor russische Trolle die Wahl Donald Trumps und den Brexit mit beeinflussen konnten – hat Finnland seine Bevölkerung im Umgang mit toxischer Desinformation geschult.
Im Jahr 2015 (und nach der Annexion der Krim durch Putin) hat Staatspräsident Sauli Niisto höchstselbst die Bevölkerung vor Fake News gewarnt. Und neben einer Vielzahl von Maßnahmen hat Finnland in den letzten Jahren nichts weniger getan, als sein Bildungssystem angesichts von russischen Fake-News-Kampagnen zu reformieren.
Die Einsicht: Mediennutzer zu Fake-News-Experten machen
Das Motto ist denkbar einfach: Politik und Medien allein können nicht gegen Fake News immunisieren. Die Bevölkerung muss selbst begreifen, dass sie die finnische Demokratie schützen muss, indem sie unter anderem für das Erkennen von Fake News sensibilisiert wird.
Die wichtigsten Identifikationskriterien für Fake News werden in Finnland schon früh in der Schule gelehrt und in Recherchekursen eingeübt.
Zur Checkliste gehören:
- Wie lassen sich gefälschte Bilder und Videos identifizieren,
- welche Quellen liegen geäußerte Halbwahrheiten zugrunde,
- wie lassen sich gefälschte oder lückenhafte Profile erkennen,
- wo wird unvollständig übersetzt,
- wann wird in Texte und auf Webseiten die Grenze zur Manipulation überschritten.
Pädagogen schärfen das Bewusstsein der Schüler, wo Fakten erläutert werden und wo Erfundenes und Hinzugedichtetes als Wahrheit verkauft wird. Die Finnen nennen diese digitale Detektivarbeit „Critical-Thinking-Curriculum“, das seit 2016 noch einmal deutlich überarbeitet und aktualisiert wurde.
Darüber hinaus hat Finnland mit Faktabaari eine eigene Faktencheck-Agentur ins Leben gerufen, die mit den Schulen und Universitäten kooperiert und aufklärerische Werkzeugkisten für die jeweiligen Altersstufen entwickelt. Kritisches Denken soll gelernt werden, indem
- Behauptungen auf YouTube und in den SocialMedia im Unterricht überprüft werden,
- „Clickbaiting“ (reißerische Überschriften) hinterfragt werden,
- gezeigt wird, wie emotionalisierend bestimmte Themen und Falschinformationen wirken.
- Und schließlich: Schüler und Studenten sollen selbst Erfahrungen im Herstellen von Fake News machen, um die Machart besser identifizieren zu können.
Kritikfähig in Zeiten von SocialMedia zu werden, heißt für Lernende in Finnland, im Internet immer mit den zwei Fragen unterwegs zu sein: Wer hat das geschrieben und gibt es die Information von einer zweiten und dritten Quelle auch. Wichtig ist, dass die Schüler und Studenten dabei nicht zynisch werden, sondern verlässliche Quellen im Netz finden und auch schätzen lernen.
Was es in Finnland darüber hinaus jedoch sehr leicht macht, die eigene Bevölkerung gegen Fake News zu immunisieren, ist die positive Haltung der Bevölkerung zum eigenen Land.
Vielleicht besteht der größte Erfolgsfaktor schlicht darin, dass Finnland ein Leseland ist. Die 5,5 Millionen Finnen leihen jährlich 68 Millionen Bücher aus. Und in der Hauptstadt wurde gerade für 100 Millionen Euro „Helsinkis Wohnzimmer“ gebaut, eine neue Stadtbibliothek.