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Eine digitale Werkstatt der Vernunft: Warum Podcasts die Zukunft gehört

Podcasts entstehen häufig dort, wo Populärkultur stattfindet. Die momentane Konjunktur der Podcasts ist kein vorübergehender Hype. Podcasts könnten wichtiger Bestandteil einer progressiven Öffentlichkeit werden, bei der Glaubwürdigkeit, Dialogizität und Haltung den massenmedialen Journalismus ablösen

Amateurfunk, Zusatzmedium, Nischenradio, Fanfunk. Podcasts laden ein zum Nebenbeihören, zum Füllen von toter Zeit in Warteschlangen und in der Bahn. Sie verführen aber offensichtlich auch zum Intensivhören. Funk für Besessene, Freunde des raumzeit-souveränen Clubbings, der dichten Beschreibung avant la lettre, bevor etwas zum festen Begriff wird. Podcast sind eine Schule des Einfühlens und des Debattierens.

 

23 Prozent der Menschen in Deutschland, die Online-Audio-Inhalte nutzen, hören Podcasts, das hat der Online-Audio-Monitor 2018 herausgefunden. Die Sozidemografie der Podcast-Hörer versetzt jeden Vermarkter in Verzücken: 19 Prozent der 14- bis 19-Jährigen hören Podcast. Unter den 20- bis 29-Jährigen sind es sogar 25 Prozent. Podcasts sind das Zuhörmedium der Jungen. Und die Hörerschaft ist darüber hinaus hoch qualifiziert: 25 Prozent der Hochgebildeten nutzen regelmäßig Podcasts.

 

Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) weist auf Ergebnisse aus dem Tech Lab des Interactive Advertising Bureau (IAB) hin, wonach Podcast-Hörer die loyalsten und interaktivsten unter allen Nutzern digitaler Medien sein sollen. Auch stünden laut einer Studie von ARD-Vermarkter AS&S Radio „weder Alter noch technische Komplexität der Podcast-Nutzung im Weg“. Die Nutzer, die Podcasts hören, besitzen ein extrem hohes Aufnahmevermögen und Verlangen nach Informationen, erläutert die Studie.

 

Wer also sagt, dass die „Jungen“ in den SocialMedia-Höllen verdorben gehen und als Netflix-Spotify-Bulimiker keine Erfahrungen mehr machen, sondern nur noch nanosekundenweise von audiovisuellen Kicks geschüttelt werden, der sollte sich einmal näher mit Podcast-Hörern beschäftigen.

Podcasting ist eine digitale Kommunikationsform, bei der Audio- oder Videoinhalte über das Internet abonniert werden können. Das Wörtchen Podcast setzt sich zusammen aus dem englischen Broadcasting (Rundfunk) und der Bezeichnung für den zur Entstehungszeit marktbeherrschenden tragbaren MP3-Player, den iPod. Podcasts können seit 2005 als Audiofiles unter anderem über Apples Musikdatei iTunes abgerufen und auf einem Smartphone, Tablet oder im Rechner gehört werden. Als Wegbereiter des Formats Podcasting gelten laut Wikipedia Tristan Louis, der das Konzept im Jahr 2000 erstmals vortrug, und Dave Winer, der es leicht modifiziert wohl als erster umsetzte. Der ehemalige MTV-Moderator Adam Curry ist einer der wichtigsten konzeptionellen Pioniere auf Produzentenseite des in den 00er-Jahren noch „Audioblogging“ genannten Verfahrens.

 

Podcasts sind ideale Tagesbegleiter. Bislang gibt es jedoch nur wenige Podcasts, die gegen Gebühr vertrieben werden (Werbung oder Spenden sind aber bei den meisten Projekten durchaus willkommen). Podcasts sind ein Geschöpf des Internets und deshalb einer potenziell unendlich großen Hörerschaft zugänglich. Das digitale Vertriebsmodell ist einfach unwiderstehlich. In regelmäßigen Abständen, so es die Autoren einigermaßen einrichten können, flattern neue Folgen auf Smartphone, Tablet oder Laptop. Die einzelnen Folgen können sofort konsumiert und wieder gelöscht werden, man kann die einzelnen Folgen aber auch unbegrenzt aufbewahren, zwischendurch hören, immer wieder hervorkramen... Es lebe die digitale Welt.

 

Und als offenbar schwer kommerzialisierbares Format ziehen die Podcasts viele Suchende an, die nach Community und (digitalen) Ausdrucksmöglichkeiten suchen.

Ich höre seit zwei Jahren aktiv Podcasts, vor allem aus dem deutschen und englischsprachigen Raum. Dabei interessieren mich vor allem Podcasts zum Thema Sport (Sportradio 360, Und nun zum Sport, Süddeutsche Zeitung, Basketball (Got Nexxt, The Ringer NBA Show, Fußball (Rasenfunk, drei Neunzig). Immer aber auch auf der Suche nach guten politischen Hörformaten (Aufwachen-Podcast https://aufwachen-podcast.de, www.jungundnaiv.de, www.theguardian.com). Wenn ich im Folgenden häufiger von „guten Podcasts“ spreche, dann entspricht das nicht ansatzweise einer repräsentativen Auswahl, sondern geht ausschließlich auf meine persönlichen Hörerfahrungen zurück.

Podcast sind eine der progressivsten Entwicklung der digitalen Transformation auf Medien- und Informationssektor seit Beginn des 21. Jahrhunderts. Sie haben das Gerät, auf dem sie einst vor allem gehört wurden, den iPod, längst überlebt. Und wie es aussieht, könnten die Podcasts als Audioblogs auch das klassische Internetblog in Schriftsprache überleben.

1. Podcasts sind kein Radio

 

Formatradio, wie wir es im dualen System in Deutschland kennen, ist in der Regel für Werbekunden optimiert und unterfordert diejenigen Hörer, die Zusammenhänge verstehen wollen und dafür gerne genauer hinhören. Zeitknappheit (ein Charakteristikum des bundesdeutschen Radios...Senden kostet Geld) macht auf Dauer dumm, sie macht Information tendenziell zur Ware, mit der Aufmerksamkeit eingekauft wird. Die meisten Podcast-Akteure, zumindest in der Latenzphase ab ungefähr 2013/2014, sind im positiven Sinne unprofessionell, das heißt, sie kommen nicht aus der professionalisierten Medienindustrie für Fußball (von Sky bis zur „Sport-Bild“). Getrieben von einer Leidenschaft und der Faszination für populärkulturelle Dinge. Quereinsteiger auf jeden Fall, keine Rampensäue oder Mikrofonprofis.

 

Lange Zeit waren Podcasts auch ein günstiger Zusatzkanal für die großen Medien, um Inhalte zweitzuverwerten, mehr aber auch meistens nicht. Bis 2008 hat sich bei allen großen deutschen Radiosendern und einigen Fernsehkanälen wie arte.tv die Bereitstellung ausgewählter Radio- und Fernsehsendungen über die Podcast-Funktion etabliert. Die Sendungen sind entweder auf der eigenen Internetseite oder zusätzlich auf Podcast-Portalen zum Soforthören oder Herunterladen abrufbar.

 

Natürlich haben die Podcasts, zumindest was die Quantität der Downloads angeht, von dem Siegeszug der mobilen Geräte zu Beginn der 2010er-Jahre profitiert. Forrester Research prognostizierte für die US-amerikanischen Haushalte bereits zwischen 2006 und 2010 eine Steigerung der heruntergeladenen Podcast-Dateien von 700.000 auf 12,3 Millionen. Seit 2016 werden Podcasts vor allem über Smartphones gehört. Durch die rasante Verbreitung von Smartphones und den immensen Erfolg einzelner Podcasts wie „Serial“ sind Podcasts seit dem Jahr 2015 von Jahr zu Jahr populärer geworden.

 

Viele der routinierten Radiomacher, die mir entgegenhalten: „Ja klar, Podcasts haben wir längst auf dem Schirm“, haben meines Erachtens nicht bemerkt, dass sie vor allem die jungen Menschen, die Podcasts durch Immer-wieder- und Nebenbei-Hören zu ihrem informativen oder inspirierenden Alltagsbegleiter machen, schon längst fürs Formatradio verloren haben.

2. Podcasts und Plattformen als Treiber einer neuen Öffentlichkeit

 

Was macht Podcasts nun zu einer neuen starken Kommunikationsform, die in der digitalen Ära das Potenzial birgt, Kreativität, gesellschaftliche Relevanz, Menschenfreundlichkeit und Empathie voranzubringen?

 

Etwas unerklärbar ist, dass die Podcast-Technologie seit fast 20 Jahren am Start steht, sie aber erst in den letzten drei bis vier Jahren mit Geist und Leben erfüllt wird. Podcasts entstehen aus nischigen bis idiosynkratischen Blickwinkeln, häufig aus purer Liebhaberei und individuellen Obsessionen, immer häufiger aber auch, um zivilgesellschaftliche Initiativen und Interessengruppen zu unterstützen (siehe beim Thema Brexit beispielsweise die Remainiacs). In den USA haben sie im linksliberalen Medienspektrum jedoch schnell auch zu interessanten Neugründungen geführt.

 

Vox und The Ringer aus den USA sind dabei, zu starken Medienmarken aufzusteigen. Auch hier ist ein wichtiger Ausgangspunkt die Liebe zu Popkultur und vor allem den US-amerikanischen Profisportarten (Football, Basketball, Baseball, Eishockey) – und zu Podcasts. ESPN-Basketball-Ikone Bill Simmons machte die Podcasts zunächst für ESPN salonfähig, ehe er beim Sportsender ausstieg und mit The Ringer eine neue publizistische Plattform startete. Aber selbst bei der Reporter-Legende Simmons gab es Rückschläge. Das eine feinziselierte und massentaugliche Podcast-Geschäftsmodell gibt es nämlich nicht. Seit einiger Zeit wird The Ringer von Vox vermarktet. Vox selbst ist eine mittlerweile prominente, progressive Medienmarke in den USA, die nicht zuletzt durch die Ezra Klein Show einem größeren Publikum bekannt wurde. Klein gab seinen honorablen Kolumnisten-Job bei der „Washington Post“ auf, um Podcasts machen zu können.

 

Ganz wichtig auch: es sind Plattformen. Und das heißt, die Inhalte zirkulieren bi-, multi- oder transmedial in unterschiedlichen Formaten, bei denen viele erst im Entstehen begriffen sind (und manchmal auch schnell wieder verschwinden). Vox, The Ringer und noch einige mehr stehen in der Trump-Ära für kritischen Journalismus, der Faszination zulässt, eine eigene Haltung durchscheinen lässt und sich traut, auch komplexe Themen anzugehen. Offensichtlich ist aber auch, dass sich in den USA der Podcast-Sound stark aus der Tradition des Talk Radio ableitet. Eine Tradition, die ebenfalls in Südeuropa stark ausgeprägt ist, in Deutschland jedoch kaum eine Rolle spielt.

 

Vielleicht entstehen auf diesen Portalen gerade die Medienmarken der Zukunft: die Ära nach Kabelfernsehen und Hitradio, nach den Massenmedien, häufig subjektiver und individueller, aber auch engagierter und authentischer. Podcasts sind ein zentraler Baustein dieser Entwicklung.

 

Ganz offensichtlich versprechen Podcasts eine neue Glaubwürdigkeit, einen speziellen diskursiven Sound, der über unsere Welt lässig bis empört räsoniert. Alles, was wir mittlerweile an Facebook und Twitter verabscheuen (Egomanie, Affekt- und Hass-Diskurse, anonyme Bots, Targeting) – Podcasts liefern einen Gegenentwurf zu digitalem Trash, populistischem Hass und dem prinzipienlosen Verkauf unserer Aufmerksamkeit in Datenform. Für Facebook sind wir als Nutzer das willfährige Produkt ihrer Kalkulation, in den Podcasts, die ich überblicken kann, geht es dagegen um eine Haltung der Realität gegenüber. Es geht um die Faszination an geliebten Dingen, um Überzeugungen, ja auch die Suche nach Wahrheiten, jedoch ohne die kaltschnäuzige Attitüde des Bescheidwissers.

 

Die besten Podcasts, mit denen ich in letzter Zeit Bekanntschaft gemacht habe, sind eigentlich nichts anderes als gelingende Gespräche. Und als gelingende Gespräche sind sie Hebammenkunst (die Griechen nannten das auch Mäeutik: sie helfen eher bei der Geburt eines Gedankens, als dass sie brillante Einsichten im Brustton der Überzeugung verkündeten. Gute Podcaster sind Phänomenologen des Populären: sie nähern sich einem Gegenstand, ohne ihn sogleich mit einem Expertenbegriff zu „erledigen“. Sie umzingeln ein Thema, einen Gedanken, lassen aber auch unverdaute Eindrücke zu, belehren in der Regel nicht (es sei denn mit ironischer Brechung). Oft sind sie emotional höchst aufgeladen und parteiisch und keineswegs neutral. Sie argumentieren (bei den Sport-Podcasts bleibt das sowieso nicht aus) mitunter einseitig bis tendenziös, aber sie geben in der Regel immer zu erkennen, dass der Ursprung des digitalen Gesprächs eine Faszination, Irritation, Nichtverstehen oder schlicht Protest ist. Das heißt, alle guten Podcasts verkörpern eine Haltung und werben zugleich um alternative Standpunkte. Besser kann man eigentlich vernunftgeleitetes und verantwortungsbewusstes Denken nicht beschreiben, das darüber hinaus kreative Prozesse anstößt.

 

Der Dramatiker Heinrich von Kleists wusste, wie schwierig es sein kann, damit solch inspirierende Diskurse entstehen. Das hat er in einem wunderbaren Text, der eigentlich ein Brief ist (also auch ein Gespräch) erläutert. Der Text trägt den Titel: „Über das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Reden“ und ist 1805/1806 entstanden (PDF). Podcasts sind für mich das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim digitalen Senden (und Zuhören). Kleist wusste auch, wie wichtig es ist, Räume, Zeitmaße und eine zwischenmenschliche Atmosphäre zu schaffen, damit sich aus Gedanken (manchmal) helle Funken der Erkenntnis und des (gegenseitigen) Verstehens schlagen lassen:

„Aber weil ich doch irgendeine dunkle Vorstellung habe, die mit dem, was ich suche, von fernher in einiger Verbindung steht, so prägt, wenn ich nur dreist damit den Anfang mache, das Gemüt, während die Rede fortschreitet, in der Notwendigkeit, dem Anfang nun auch ein Ende zu finden, jene verworrene Vorstellung zur völligen Deutlichkeit aus, dergestalt, dass die Erkenntnis zu meinem Erstaunen mit der Periode fertig ist.“

 

(Heinrich von Kleist: „Das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Reden“)


Podcasts sind in unserer digitalen Welt erstaunlich brauchbare Gefäße, in denen diese gesellschaftliche Hebammenkunst auf digitalem Wege praktiziert wird.

3. Vier Grundvoraussetzungen für schöpferische Diskurse

 

Dadurch, dass Podcasts oft erst einmal nichts anderes sind als virtuelle Wohnküchen, in denen sich Besessene die Köpfe heiß reden, oder englischen Debattierclubs ähneln, beziehungsweise Salons aus dem 18. Jahrhundert, grundsätzlich aber unprofessionell sind, von Leidenschaften, aber auch Erkenntnisinteresse getragen, entsteht eine heute seltene Form von kommunikativer Vernunft, Kritik, Bewusstsein und Kreativität. Das kann man auch Öffentlichkeit nennen, ohne die freies Denken, Toleranz und Demokratie nicht vorstellbar ist.

 

Ohne Öffentlichkeit auch keine Vernunft. Vernunft, die sich nur in Grundsätzen, Dekreten oder Formelsätzen äußert, ist blind für die Farbigkeit der Welt. Vernunft braucht im Wortsinne Welt-Anschauung, muss verkörpert, konkretisiert und kommunikativ zwischen Menschen erzeugt werden. Dann entsteht daraus Kritikfähigkeit, Bewusstsein und Kreativität. Das ist ein fortschreitender Prozess, an dem Menschen, Temperamente, und idealerweise emphatische Geister beteiligt sind. Gute Podcasts bringen Leute in dieser Form zusammen. Leute, die unterschiedlicher Meinung sind und deren Sichtweise mithin kurzschlüssig, voreingenommen, oft einfach nur polemisch ist. Beim Wandern durch die deutsche und nordamerikanische Podcast-Landschaft sind mir kaum Mobs, Trolls oder Horden gleichgeschalteter Meinungen begegnet (aus den USA kennen wir allerdings eine ausgeprägte rechte Radioszene). Wer mir einen Hater-Podcast nennen kann, möge sich bitte melden.

 

Podcasts könnten zukünftig tatsächlich ein wichtiger Bestandteil einer progressiven Öffentlichkeit im Netz sein, von der wir aktuell weiter entfernt denn je scheinen. Nehmen wir nur den schwer erträglichen Eiertanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks um den Begriff der „journalistischen Neutralität“ – in guten Podcasts könnten die Anstalts-Journalisten und Gebühren-Dramaturgen lernen, dass es Neutralität in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen grundsätzlich nicht gibt. In guten Podcasts kann man entdecken, dass Informationen nie wertfrei sind, Fakten nicht ohne Haltung verständlich werden und Aufklärung nicht ohne Engagement und Empathie möglich ist. Wer (auch als Öffentlich-Rechtlicher) „Neutralität“ in der Berichterstattung einfordert, geht der Demagogie von Rechtspopulisten und Nazis auf den Leim, die mit „Neutralität“ auf subtile Weise suggerieren, dass die „Systemmedien“ voreingenommen seien.

 

Höre ich in gute Podcasts rein, fallen mir vier Grundvoraussetzungen für schöpferische Diskurse auf. Erstens, braucht es idealerweise ein signifikantes Gegenüber so dass sich ein Dialog und so etwas wie antwortendes Verstehen entspinnen kann (in Kleists Arbeitsalltag war das seine Schwester, die immer hinter ihm in der Studierstube saß). Vernunft und Kreativität brauchen, zweitens, unterschiedliche Rhythmen des Zuhörens, Redens, Schweigens, innerlichen Revoltierens etc. Drittens, ist für einen schöpferischen Diskurs eine entschleunigte Agenda (eben keinen 1:30-Verknappungsterror) von vitaler Bedeutung. Kreativität findet, viertens, in einem stimulierenden Raum-Zeit-Kontinuum, eben in guter (Podcast-)Gesellschaft, statt (und sei sie nur virtuell, so wie sich viele Podcasts zur Aufzeichnung via Skype oder ähnlichem zusammenschalten).

 

Kleist war ein dramaturgisches Genie, ein flamboyanter Journalist und glühender Aufklärer, und er stotterte. In den Podcasts wird auch gestottert, geradebrecht, polemisiert und dilettiert. Viele großartige Podcast-Momenten, die ich erlebt habe, kommen dieser Beobachtung von Kleist sehr nahe:

„Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen. Es braucht nicht eben ein scharfdenkender Kopf zu sein, auch meine ich es nicht so, als ob du ihn darum befragen solltest: nein! Vielmehr sollst du es ihm selber allererst erzählen.“


Themen werden in einem guten Podcast polyperspektivisch umkreist, mit argumentativen Übertreibungen, subjektiven Verzerrungen und emotionalen Grenzüberschreitungen am Rande des guten Geschmacks. Die Podcasts, die ich kenne, sind jedoch alle um Fairness bemüht, akzeptieren ihr Gegenüber und Minderheitenmeinungen. Gerade in Fußball-Fan-Podcasts (ich nenne nur „drei 90“ und den Lilien-Podcast, sowie den Eintracht-Podcast, weil ich die am besten kenne) wird polemisiert, gestritten, werden Gegner verhöhnt und die „Mächtigen“ der Branche angeklagt – sie sind jedoch Werkstätten der Vernunft, weil sie als Hardcore-Fans, Ultras oder wie immer man es nennen möchte, ihre Haltung in den Podcasts immer wieder selbst in Frage stellen. Sie sind aber nicht gereinigt vom Affekt (sie pflegen mitunter ihre „Ultra“-Attitüde), vom laut Gedachten und spontan Dahingeworfenen. Vernünftiges und für den gesellschaftlichen Dialog Brauchbares entsteht aus der gemeinsamen Formung von Eindrücken, Urteilen und Befindlichkeiten. Genau das Gegenteil (und ein heilsames Gegengift) zum politischen und medialen Populismus, der via SocialMedia unsere öffentliche Agenda in Besitz genommen hat.

 

4. Das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Aufnehmen

 

Sind Podcasts deshalb also so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit, wie sich das linke Weltverbesserer seit den 68ern immer vorgestellt haben? Ja durchaus. Insofern gute Podcasts nicht den bürokratischen Postulaten der Neutralität, Ausgewogenheit und aktuellen Kurzatmigkeit auf den Leim gehen.

 

Und gute Podcasts attackieren durchaus auch das, was landläufig (und mehrheitlich vom rechten Spektrum) als Political Correctness bezeichnet wird. Gute Podcasts argumentieren mit Vorliebe ironisch und selbstreflexiv. Das klingt auf den ersten Blick nicht so außerordentlich relevant, ist es aber, denn die Podcasts stellen damit bloß, wie Nachrichten und Medien funktionieren: nämlich immer häufiger als Quellen für Entrüstung oder als Sedativum, kaum noch als Erklärungsinstanzen, die den Hörer ernstnehmen. Die Ironie und Komik einiger Podcasts offenbart darüber hinaus, wie Podcasts selbst funktionieren, auf welchen Werten das Selbstverständnis der Podcaster aufbaut usw. So entstehen dann oft Wertediskussionen, die sich aufgrund der Dialogizität in den Podcasts jedoch nicht ideologisch bemäntelt. Anders gesagt: Auch wenn es den Akteuren nur selten bewusst wird, werden in guten Podcast ständig Werte verhandelt und wird - in Subtexten - über Ethik und eben Political Correctness räsoniert. Gute Podcasts sind moralisch, ohne zu moralisieren. Und sie sprechen sich ausdrücklich für die Gleichberechtigung der Geschlechter aus, sind explizit gegen Ausgrenzung und Ausländerhass, gegen Rechts, Faschismus und Hetze.

 

Vernunft, das kann man bei guten Podcasts lernen, ist vernehmende Vernunft, Vernunft entsteht aus Zuhörenkönnen und Weiterdenken. Kleist bringt „das allmähliche Verfertigen von Gedanken beim Reden“ mit einer vertrauten und geliebten Alltagspraxis in Verbindung: Zum Schreiben und Studieren sitzt er immer mit seiner Schwester im Zimmer zusammen. Sucht er nach gedanklicher Schärfe, weil ihm nichts mehr einfällt, nimmt er mit ihr mitunter nur über ein Augenzwinkern Kontakt mit ihr auf. Kann er ein Problem nicht lösen, berät er sich mit ihr oder nutzt ihre Gegenwart einfach nur, um selbst auf den erlösenden Gedanken zu kommen. (Viele Menschen schildern ja, dass sie für neue Ideen den Raum verlassen müssen, die besten Ideen beim Duschen oder auf der Toilette bekommen.)

 

Gute Podcasts schenken den Themen Zeit, deswegen sind sie mitunter so verdammt lang, drei Stunden ist keine Seltenheit. Gedanken, Gefühle und auch gute Ideen brauchen Zeit. Kleist wäre heute ein Podcaster, denn er wusste, wie schöpferisch das suchende Gespräch mit einem Gegenüber sein kann. Zündende Ideen und Erkenntnisse lassen sich in der Regel nicht aus Expertenhirnen herauspressen, dafür braucht es konkrete Räume, Menschen und entspannte Zeit. Kleist war es deswegen so wichtig „...zur Fabrikation meiner Idee auf der Werkstätte der Vernunft die gehörige Zeit zu gewinnen.“ Guten Podcasts gelingt es, genau diese Werkstattatmosphäre zu erzeugen. Podcasts sind das digitale Medium der kommunikativen oder kollaborativen Vernunft. Das, was Twitter in Ansätzen einmal war, ein Multiversum des Teilens und Räsonierens über alles Mögliche, Denkbare, Undenkbare, Skandalöse und Absonderliche, ist heute eher ein guter Podcast.

 

5. Podcasts auf dem Weg in die gesellschaftliche Mitte?

 

Erfreulicherweise kommen Podcasts auch in der Wissenschaftskommunikation immer häufiger zum Einsatz. Es wäre schön, nein es wäre wichtig, wenn auch die Wissenschaft ihre gesellschaftlich-dialogische Aufgabe gerade in der digitalen Sphäre besser begreifen würde. Beispielsweise behandelt der Resonator-Podcast die Forschung der Helmholtz-Gemeinschaft und der FONA-Podcast stellt aktuelle Forschungsprojekte aus dem Forschungsrahmenprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“ (FONA) vor. Im Podcast „Methodisch Inkorrekt!“ stellen die Wissenschaftler Nicolas Wöhrl und Reinhard Remfort eigene und aktuell veröffentlichte Forschungsergebnisse vor. Als erster Podcast wurde 2013 der Soziopod mit einem Grimme Online Award ausgezeichnet. Im vergangenen Jahr haben große deutsche Verlage (u. a. Spiegel Online, Zeit Online) eine ganze Reihe eigener Podcast-Angebote gestartet. Damit gab es neben Radiosendern (u. a. Deutschlandfunk, Bayerischer Rundfunk), Institutionen (u. a. Helmholtz-Gemeinschaft, Umweltbundesamt), Podcastlabels (u. a. Viertausendhertz, detektor.fm), Streaminganbietern (u. a. Deezer, Spotify).

 

Auch im Norden und Süden Europas ist der Trend angekommen. In Schweden ist die Zahl der Podcasthörer seit 2016 um 36 Prozent gewachsen, so dass es nun 3,3 Millionen regelmäßige Hörer gibt. Außerdem wird ein signifikanter Anstieg der italienischen, französischen und spanischen Podcasts beobachtet – in Spanien wurde im Juni 2016 mit Podium Podcast ein sich ständig erweiterndes Netzwerk gegründet, dem Nachrichten- und Unterhaltungspodcasts aus Spanien und Lateinamerika angehören.

 

Mitunter muten Podcasts wie Bollwerke gegen einfältiges Digital-Bashing an. Studien belegen, dass Podcasts die Konzentration fördern, aktives Zuhören und die intensive Auseinandersetzung mit Themen unterstützen. 80 bis 90 Prozent einer Folge konsumieren im Schnitt die Hörer eines Podcasts. Selbst Werbung sorgt kaum für Nutzungs-Abbrüche. Das geht aus den Podcast Analytics von Apple hervor. Gegen alternative Fakten und Hass im Netz könnte dem jungen Medium Podcast in den kommenden Jahren eine wichtige Bedeutung zukommen. Gute Podcasts mobilisieren so etwas wie dialogische und vernehmende Vernunft. Sie verkörpern Haltung statt verlogener Neutralität, fördern Welt-Anschauung und Faszination statt der Pseudo-Ergriffenheit des Sky-Kommentators. Gegen den Hass brauchen wir mehr solche Hebammenkunst und die Einladung zum guten Gespräch.